Ein Nachfolgeprozess ist ein vielschichtiger Veränderungsprozess. Auch bei einer umsichtigen Planung geschieht im Laufe des Prozesses meistens noch irgendetwas, das so nicht vorgesehen war. Damit solche Holperer nicht den ganzen Prozess gefährden oder zu grossen Zeitverzögerungen führen, braucht es einen Plan B, vielleicht sogar einen Plan C. Wenn wir Nachfolgeprozesse begleiten, denken und handeln wir immer in Szenarien. Dass wir das “was wäre, wenn…” mit unseren Kundinnen und Kunden thematisieren und durchdenken, hat sich schon vielfach bewährt.
Wenn wir die letzten 100 Nachfolgeprozesse betrachten, die wir begleiten durften, gab es bei jedem zweiten Prozess einen Holperer, der das Potenzial hatte, den Prozess zu stören und das angestrebte Ergebnis zu beeinträchtigen. Eine Nachfolge verläuft kaum je einfach “geradeaus”. Die Regel ist, dass während dem Prozess neue Wege aufgehen, sich Rahmenbedingungen verändern und auch Umwege genommen werden müssen. Was sich in diesen Momenten bewährt hat: immer in Szenarien zu denken und gewisse Massnahmen für den “Fall der Fälle” vorzusehen, um danach handeln zu können, wenn es nötig werden sollte.
Nachfolge braucht Zeit — und je grösser die Zeiträume sind, desto unplanbarer wird die angestrebte Nachfolgelösung. Bedürfnisse, Erwartungen, Vorstellungen, wie auch die Wirtschaftslage oder der Unternehmenserfolg können sich verändern. Was heute als richtig und korrekt beurteilt wird, muss möglicherweise in einem Jahr neu beurteilt oder in Frage gestellt werden.
Die wichtigsten Nachfolgeoptionen in der Schweizer KMU-Landschaft sind FBO (Familienmitglieder übernehmen), MBO (bestehende Mitarbeitende übernehmen) und MBI (externe Käufer, in der Regel unternehmerische Persönlichkeiten, übernehmen) — sie unterscheiden sich wesentlich im Ablauf und im Zeitrahmen, in dem der Prozess erfolgt (Dauer):
Egal, ob wir FBO, MBO oder MBI begleiten: wir wollen immer einen Plan B. Auch dann, wenn bereits ein Plan entschieden und dieser ausgesprochen ist, zum Beispiel, dass die Kinder die Führungs- und Eigentumsnachfolge antreten werden.
Nachfolge strategisch planen
Wir gehen mit unserer Empfehlung sogar so weit, dass wir unsere Kundinnen und Kunden auffordern, mindestens 3, oder besser vier denkbare Nachfolgeszenarien durchzudenken und zu formulieren und im Anschluss daran einen Entscheidungsbaum zu definieren, in dem folgende Fragen geklärt sind:
- Wann muss die Entscheidung erfolgen, dass der angestrebte Weg umgesetzt wird, mit allem, was dazugehört?
- Wer trifft diese Entscheidung?
- Was sind die Entscheidungsprämissen (Grundlagen und Voraussetzungen, auf der die Entscheidung getroffen wird)? Entscheidungsprämissen können Regeln, Vorgaben, Werte sein.
Es werden also Meilensteine definiert, die es einzuhalten gilt und man definiert dazu Bedingungen, die für die übergebende Partei wie auch für die übernehmende Partei bindend sind. Diese “strategische Nachfolgeplanung” kann wie folgt veranschaulicht werden:
Beispiel 1: Im Rahmen eines Familienrates wurde in Anwesenheit der gesamten Familie entschieden, dass die Tochter die Führungs- und Eigentumsnachfolge antreten darf, wenn sie denn will. Die Entscheidung muss spätestens bis zum 31.12. im Folgejahr getroffen werden. Die Tochter soll ihren Entscheid schriftlich kommuniziere. Voraussetzung und Grundlage für den Entscheid (Entscheidungsprämisse) sind, dass die Tochter in der Zeit bis zum Entscheid ihr Studium abgeschlossen und einen Sprachaufenthalt im englischen Sprachraum absolviert hat.
Beispiel 2: Der Vater hält im Rahmen einer Familienbesprechung fest, dass er – sofern sich keines der Kinder bis in zwei Jahren für das Unternehmen interessiert (sprich: im Unternehmen die Arbeit aufnimmt) – das Unternehmen extern verkaufen wird.
Entscheidend ist es, dass die Antworten auf die drei Kernfragen von oben, transparent sind. Die Antworten können auch differenzierter ausfallen, wie in den zwei Beispielen. Als Prozessbegleiter stellen wir in der Regel sicher, dass auch die Auswirkungen einer Entscheidung und das ganze “Drumherum” bereits im Vorfeld durchgedacht und erarbeitet werden, um Klarheit zu haben, was welcher Entscheid konkret bedeutet, mit allen Konsequenzen.
Erwarte das Unerwartete
Und gleichwohl kann es — trotz strategischer und sorgfältiger Planung — zu Überraschungen kommen. Wir erleben das immer wieder. Bei uns lautet einer der Grundsätze deshalb auch: “Erwarte das Unerwartete”.
Beispiel 1: Eine familieninterne Nachfolge ist von A‑Z durchdiskutiert und alle Vertragsentwürfe liegen vor, das Preis‑, Wert- und Finanzierungsmodell steht und man könnte eigentlich nur noch unterschreiben. In der Schlussbesprechung, nach einem 2‑jährigen Prozess, sagt eines der Kinder: “Ich habe mich verliebt und werde die Schweiz verlassen. Ich habe deshalb für mich entschieden, dass ich keine Aktien übernehmen und in Spanien eine eigene Existenz aufbauen möchte.”
Beispiel 2: Die firmeninterne Nachfolge an zwei Mitarbeitende ist aufgegleist und alle Eckdaten sind geklärt – auch rund um Wert, Preis und Finanzierung mit der Bank. Es ist alles bereit, dass der Handwerksbetrieb inkl. betriebsnotwendiger Immobilie an die Mitarbeitenden, welche die Nachfolge antreten, verkauft werden kann. Unmittelbar vor der Vertragsunterzeichnung kommt dann aber ein Anruf. Am Telefon ist ein Vertreter des eben verstorbenen Inhabers des Nachbargrundstücks. Dieses Grundstück ist unverbaut und langfristig könnte dieses Land die einzige und ideale Expansionsmöglichkeit sein für das in der Nachfolge bestehende Unternehmen. Die Nachfolger erkennen die grosse Chance, können sich das Grundstück zum jetzigen Zeitpunkt aber finanziell nicht leisten. Der übergebende Verkäufer weiss ebenfalls, wie wichtig das Grundstück für die Zukunft “seiner” Firma ist. Das Ereignis hat die Ausgangslage unerwartet verändert — die Parteien haben in diesem Fall gemeinsam eine Lösung zugunsten der Firma erarbeitet und der Firmenverkauf konnte dennoch — fast wie geplant — stattfinden.
Beispiel 3: Mit Covid-19 hat damals niemand gerechnet. Und schon gar nicht damit, dass so plötzlich ein grosser Teil unserer Volkswirtschaft stillgelegt wird. Eine Zahnarztpraxis, die 2020 unmittelbar vor dem Verkauf stand, musste als Folge der Bestimmungen schliessen. Dieses exogene Ereignis war nicht vorhersehbar. Es hat zwar nicht zum Abbruch der Nachfolge geführt, aber zu einem Aufschub von zwei Jahren. Die Pläne von zwei Generationen wurden damit durchkreuzt.
Fazit
Diese Beispiele zeigen: in Szenarien zu denken und zu handeln, lohnt sich. Ziel dieser Szenarien ist es, Verbindlichkeit sicherzustellen und gleichzeitig begründet (!) Flexibilität an den Tag zu legen in Situationen, die sich plötzlich anders entwickeln, als gedacht oder erwartet. Wenn das angestrebte Fernziel tragfähig und klar ist, können Unsicherheiten und Irritationen — kurzfristig — abgefedert werden.
Jede Unternehmerin und jeder Unternehmer sollte sich bewusst sein: Nachfolge braucht viel Zeit. In aller Regel sogar mehr Zeit, als zu Beginn angenommen. Wer konsequent in Szenarien denkt und handelt, ist vorbereitet und kann in kürzerer Frist besser entscheiden. Nachfolge ist ein unternehmerischer Akt und es lohnt sich, diesen Schritt bewusst zu gestalten und frühzeitig anzugehen.
Auf unserer Plattform finden Sie weiterführende Unterlagen rund um die verschiedenen Nachfolgeoptionen und weshalb es so relevant ist, in Szenarien zu denken und zu handeln:
- Die Nachfolge im Zeitablauf wirkungsvoll gestalten: “KMU Nachfolge als Prozess: alles im richtigen Moment?” (Schrift Nr. 04)
- Die geordnete Geschäftsaufgabe als strategische Nachfolgeoption: “Die geordnete Geschäftsaufgabe” (Schrift Nr. 13)
Im Download-Center stellen wir Ihnen diverse Unterlagen und Arbeitsblätter kostenlos zur Verfügung.
Fotonachweis: Shutterstock
Abbildungen: St. Galler Nachfolge