Die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer schätzen den tatsächlichen Wert ihres Betriebs um das Drei- bis Fünffache zu hoch ein. Der Grund dafür sind die Emotionen der Firmeninhaberinnen und ‑inhaber, mit denen sie an das Thema herangehen — meistens unbewusst. Wir zeigen Ihnen Möglichkeiten auf, wie Sie sich Ihrer Emotionen bewusst werden und erklären das Modell des “Emotionalen Wertes”, das Emotionen greifbarer macht..
Wer ein Unternehmen hat, steckt über Jahre hinweg viel Energie und Herzblut in die eigene Firma — die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer sind mit der Firma emotional verbunden. Unternehmertum ohne Emotion, das ist schwer vorstellbar. Und notabene auch nicht das Ziel. Tatsache ist aber, dass bei Nachfolgeprozessen diese emotionale Verbundenheit nicht nur den Rückzug aus dem Tagesgeschäft erschweren können, sondern auch eine realistische Einschätzung des Unternehmenswertes. Beides kann einen Nachfolgeprozess behindern oder sogar komplett ausbremsen.
Was kann nun eine Unternehmerin oder ein Unternehmer tun, damit dies nicht geschieht? Unsere erste und sogleich wichtigste Empfehlung: werden Sie sich bewusst, welche Emotionen Sie empfinden.
Emotionen, die einem nicht bewusst sind, können einen Nachfolgeprozess ausbremsen und Preisverhandlungen unnötig erschweren.
Was logisch tönt, kann als Prozess ganz schön anspruchsvoll sein. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer sind mit ihrem Betrieb gewachsen und verwoben, viel Wissen und ein grosser Erfahrungsschatz ist implizit vorhanden, vieles davon unbewusst. So ist es auch mit der emotionalen Verbundenheit. Wie identitätsstiftend die Firma möglicherweise für die Inhaberin oder den Inhaber ist — um nur ein Beispiel zu nennen -, wird vielen oft erst nach der Übergabe des Betriebes so richtig bewusst.
Anders kann es verlaufen, wenn sich Inhaberinnen und Inhaber frühzeitig und sehr ehrlich mit verschiedenen Fragen auseinandersetzen. Das kann eigenständig geschehen, oder indem man sich zum Beispiel Unterlagen besorgt, die einen Denkprozess in Gang setzen. Eine weitere Möglichkeit sind Sparringpartner:innen, Coaches oder Personen aus dem eigenen Umfeld, mit denen man Fragen kritisch reflektiert, um für sich Erkenntnisse oder Klarheit zu erlangen.
Diese Klarheit ist für einen Nachfolgeprozess in vielerlei Hinsicht relevant. Auch dann, wenn es darum geht, für Ihr Unternehmen einen Preis zu definieren.
Wert, Emotionen und Finanzierbarkeit
Wert und Preis sind zentrale Grössen, wenn es darum geht, eine Firma zu verkaufen oder zu kaufen. Wer ein Unternehmen kauft, möchte wissen, was es kostet. Und wer ein Unternehmen übergibt, will wissen, was er oder sie für die Firma erhält. Für unsere nachfolgenden Überlegungen zentral, ist die Aussage, dass Wert nicht gleich Preis ist. Aus Sicht des Käufers oder der Käuferin könnte man auch sagen: “Wert ist das, was du bekommst – Preis ist das, was du bezahlst”.
Lediglich 10–15 Prozent der mittelständischen Unternehmen schätzen den Wert ihrer Firma realistisch ein.
Den Preis eines Unternehmens festzusetzen ist Verhandlungssache zwischen der übergebenden und der übernehmenden Partei. Die Grundlage der Verhandlung sind drei Dimensionen:
- Unternehmensbewertung (Schrift 07)
- Emotionaler Wert (Schrift 08)
- Finanzierbarkeit (Schrift 09 — Publikation folgt demnächst)
Bei jeder der drei Dimensionen gilt es verschiedene Arbeitsschritte zu berücksichtigen. Auf unserer Plattform finden Sie zu den einzelnen Dimensionen je ein separates Dossier und Hilfsmittel, die im Laufe des Jahres 2022 publiziert werden. In diesem Blogbeitrag vertiefen wir den Aspekt “Emotionaler Wert”.
Die emotionale Bedeutung der Firma
Die Emotionen, welche das Unternehmerdasein mit sich bringt, sind vielfältig: Stolz und Freude über Erreichtes, Ängste und Zweifel während Krisen, das Gefühl, etwas zu gestalten und Einfluss nehmen zu können, ein gewisses Ansehen im geschäftlichen und im persönlichen Umfeld und viel Austausch, Erlebnisse und Kontakte im Netzwerk an Geschäftspartnern, Mitarbeitenden, Kundinnen und Kunden.
Je nachdem, wie eine Person das Unternehmerdasein erlebt, entsteht ein “Emotionaler Nutzen”, sofern die Emotionen im Hinblick auf das Unternehmerdasein positiv sind. “Emotionale Kosten” entstehen, wenn eine Person das Unternehmerdasein emotional negativ erlebt. Der Saldo dieser beiden Grössen ergibt den “Emotionalen Wert”. Dieser kann positiv oder negativ ausfallen:
Der “Emotionale Nutzen” und die “Emotionalen Kosten” können die Kaufpreisvorstellungen und im Endeffekt den Verkaufspreis in unterschiedliche Richtungen beeinflussen. In unserem Modell sprechen wir von einem “Emotionalen Abschlag” (Discount) oder einem “Emotionalen Aufschlag”:
Beim “Emotionalen Abschlag” verzichtet eine Partei auf einen Teil des fairen Marktwertes und damit des Verkaufspreises. Die Gründe dafür können unterschiedlich sein, wie die Beispiele unten zeigen. Beim Aufschlag findet eine Preismaximierung statt.
Auch eine potenzielle Käuferin oder ein potenzieller Käufer sollte sich dieselben Überlegungen machen. Ein KMU zu übernehmen, kann je nach Hintergrund, ebenfalls emotionale Kosten oder einen emotionalen Nutzen verursachen und sich in den Preisverhandlungen spiegeln.
“Emotionaler Abschlag”: Emotionen, die bewirken können, dass jemand beim Preis entgegenkommt
Ein “Emotionaler Abschlag” kann sich beispielsweise folgendermassen zeigen: Ein Übergeberin ist stolz darauf, dass die nächste Generation, die bereits im Unternehmen arbeitet und ihren Beitrag zu dessen Weiterentwicklung geleistet hat, das Unternehmen übernehmen will. Die Tatsache, dass die unternehmerischen Familientradition fortgeführt wird, der mütterliche Stolz und die Anerkennung der bisherigen Leistung der jungen Generation sind ihr einen Preisabschlag wert. Sie freut sich, dass das Unternehmen in ihrem Sinne weitergeführt wird.
Ein “Emotionaler Abschlag” kann aber auch aus einem ganz anderen Grund erfolgen. Beispielsweise dann, wenn ein Unternehmer unter gesundheitlichen Folgen der unternehmerischen Verantwortung leidet. Diese Situation kann ihn dazu bewegen, einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin einen Preisabschlag zu gewähren, weil er froh ist, seine unangenehme Situation zu verändern und aus der unternehmerischen Verantwortung aussteigen zu können.
“Emotionaler Aufschlag”: Emotionen, die zur Preismaximierung führen können
Auch der “Emotionale Aufschlag” kann verschiedene Hintergründe haben. Ärgert sich beispielsweise ein Unternehmer über das Verhalten eines Kadermitarbeiters, der das Unternehmen im Rahmen eines Management Buy Outs (MBO) übernehmen möchte, dann wird er versuchen, eine Preismaximierung mittels eines Aufschlags zu erreichen, im Sinne von: “Jetzt möchte ich für diesen Frust entschädigt werden.”
Es kann auch sein, dass eine Unternehmerin in einer Weise an ihrem Unternehmen hängt, dass sie der Überzeugung ist, dass niemand dieses an ihrer Stelle fortführen könne. “Nicht über meine Leiche” könnte hier eine passende Beschreibung dieser Situation und eines hohen “Emotionalen Aufschlags” darstellen.
Für sich zu wissen, welchen Wert das Unternehmen emotional darstellt, und sich bewusst zu sein, dass dieser “Emotionale Wert” den Verkaufspreis direkt oder indirekt beeinflussen kann, kann für die übergebende wie auch für die übernehmende Generation hilfreich sein.
Emotionen versachlichen
Ein weiterer Ansatz, der helfen kann, sich Emotionen bewusst zu werden, ist eine sorgfältige Prüfung des Unternehmens, bevor es bewertet wird, eine sogenannte “Due Diligence”. Eine umfassende Due Diligence vermittelt dem Käufer und dem Verkäufer vor der Transaktion den möglichst objektiven Wert des Unternehmens und gibt einen Überblick über die mit dem Erwerb verbundenen Risiken.
Bei einer solchen Bestandesaufnahme werden die Unternehmensdaten offengelegt, aufgearbeitet und analysiert. Es werden auch potenzielle Risiken, das potenzielle Einkommen und andere Verpflichtungen analysiert. Insbesondere die nachfolgende Generation lernt auf diese Weise das Unternehmen detailliert kennen. Die Informationsasymmetrie, die in der Regel zwischen der bisherigen und der nachfolgenden Generation besteht, wird damit kleiner.
Jedem Nachfolger, jeder Nachfolgerin steht das Recht zu, Wert und Risiken zu erfahren und dafür eine umfassende Analyse der Unternehmensdaten durchführen zu lassen.
Niemand kennt das Unternehmen in der Regel besser als der Verkäufer. Die Innensicht birgt jedoch auch die Gefahr, dass wichtige Tatsachen ausgeblendet werden. Wenn potenzielle Nachfolger:innen Fragen stellen, hat das nichts mit einem Misstrauensvotum zu tun.
Zu einer für beide Parteien sauber geregelten Nachfolgelösung gehört eine Due Diligence. Am besten wird sie von einer unabhängigen, von beiden Verhandlungsparteien akzeptierten Fachperson durchgeführt.
Bei der sorgfältigen Prüfung sämtlicher Unternehmensaspekte werden Fragen aufkommen, die nicht immer einfach zu beantworten sind. Werden dabei sämtliche Chancen und Risiken offengelegt, die das Unternehmen in sich trägt, gewinnen beide Parteien. Die übergebende Generation weiss, welchen Wert sie übergibt – die nachfolgende Generation weiss, was auf sie zukommt. Damit kann das Gefühl oder die Emotion im Bezug auf den Wert des Unternehmens etwas “rationalisiert” und damit greifbarer gemacht werden.
Der “faire” Verkaufspreis
Zusammenfassend kann man sagen, dass Unternehmerinnen und Unternehmer, die in den Verhandlungen einen fairen Verkaufspreis erzielen möchten, differenziert und reflektiert einige Aspekte berücksichtigen sollten:
- Sich mit den eigenen Emotionen auseinandersetzen und sich derer bewusst werden
- Sich bewusst sein, dass Emotionen den Verkaufspreis in Form eines Ab- oder Aufschlages beeinflussen können
- Eine sorgfältige Prüfung des Unternehmens veranlassen und Chancen und Risiken reflektieren und offenlegen (Due Diligence)
- Eine Unternehmensbewertung erstellen
- Sich der Wertdiskussion stellen und dabei auch die Zukunft berücksichtigen
- Sich bewusst sein, dass der Wert des Unternehmens nicht der Verkaufspreis ist
Wer so vorbereitet in die Preisverhandlungen geht, auch als nachfolgende Generation, kann davon ausgehen, dass die Diskussion um Preis und Wert eine andere Qualität haben wird und das Verhandlungsergebnis wahrscheinlich nachhaltiger auf verschiedenen Ebenen. Ein “fairer” Preis erfüllt nicht nur bestimme objektive Kriterien, es ist auch ein Preis, der von beiden Seiten als fair empfunden wird.
Mehr zum Thema “KMU Bewertung und emotionaler Wert”
Für alle, die sich vertieft mit dem Thema “KMU Nachfolge und der emotionale Wert” auseinandersetzen möchten, haben wir nützliche Inhalte aufbereitet:
- Download Schrift 08 — Emotionaler Wert
- Claudia Buchmann erklärt das Modell “Emotionaler Wert”
- Download Arbeitsmittel
- Download Schrift 07 — Bewertung
- Fabian Schmid im Gespräch: Unternehmensbewertung – Empfehlungen für KMU
- Download Schrift 09 — Finanzierung
Im Download-Center finden Sie zudem unter dem Schlagwort “Transaktionskosten” ergänzende Arbeitsblätter.
Fotonachweis: Shutterstock | Abbildungen: © St. Galler Nachfolge