Blog 13: Family-Governance jenseits von Strukturen und Recht

«Papier ist geduldig? Wenn Struk­turen nur auf dem Papier bestehen. -

Die Entwicklung von Struk­turen (Gover­nance) beginnt im Kopf und im Herz der Betrof­fenen und Invol­vierten. Beim Genera­tio­nen­wechsel, bei der Weiter­ent­wicklung von Famili­en­un­ter­nehmen und Unternehmerfamilien.»

Die Hetero­ge­nität von Famili­en­un­ter­nehmen und Unter­neh­mer­fa­milien ist riesig. Je nach Ausgangslage und Zukunfts­plänen gilt es, unter­schied­liche Struk­turen und recht­liche Instru­mente zu definieren. Die Praxis zeigt und lehrt uns jedoch, dass Papier geduldig sein kann, wenn die geschaf­fenen Struk­turen nur auf dem Papier bestehen und nicht gelebt werden.

Die Entwicklung dieser Struk­turen und ihre Verän­derung beginnt im Kopf und Herz der invol­vierten Individuen und nimmt schliesslich in der Inter­aktion im Mitein­ander Gestalt an.

Es liegt somit auf der Hand, weshalb im St.Galler Nachfolge-Modell die Gestal­tungs­di­mension «Gover­nance» als eine der kräftigsten Gestal­tungs­di­men­sionen gilt: im Rahmen des Genera­tio­nen­wechsels, oder der Weiter­ent­wicklung von Famili­en­un­ter­nehmen und Unter­neh­mer­fa­milien (vgl. www.sgnafo-modell.ch).

Family Business-Gover­nance ist ein grosser Begriff, der auch etwas abstrakt anmutet. Die Opera­tio­na­li­sierung kann sehr pragma­tisch und wirkungsvoll erfolgen. Im St.Galler-Nachfolge-Modell sprechen wir von Gover­nance-Struk­turen, Gover­nance-Instru­menten und Governance-Prozess.

In diesem Blog liegt der Fokus nun auf dem Gover­nance-Prozess. Im vorlie­genden Kontext bedeutet dies, wie und weshalb der Prozess zwischen Familie und Unter­nehmen gelebt werden kann. Es geht also nicht darum wie und wozu allfällige Struk­turen gebaut werden.

Gover­nance-Prozess bedeutet, dass etwas im ZeitRAUM geschieht.

Im Dialog mit sich selbst

Famili­en­mit­glieder – ob jung oder alt – sind angehalten, sich selbst zu reflek­tieren: «Wer bin ich, was will ich, was kann ich, was will ich nicht? Was sind meine Erwar­tungen an mich selbst, was sind meine Bedürf­nisse und was bin ich bereit, wo und wie in die Umsetzung zu bringen?»

Eine gesunde (Selbst-)Reflexion in Bezug auf die persön­lichen Grund­werte (= Haltung), in Bezug auf die eigenen Antriebe und Motiva­tionen (= Bereit­schaft) sowie in Bezug auf das eigene Tun (= Handlung) ist sehr wertvoll, um insbe­sondere in unsicheren Zeiten die eigene Handlungs­fä­higkeit aufrecht erhalten zu können. Es gilt, die eigenen Ressourcen zu erkennen, zu verstehen und im Anschluss sinnvoll zu nutzen und einzusetzen.

Polari­täten überwinden

Ob unter Eheleuten, Geschwi­stern oder in genera­ti­ons­über­grei­fenden Situa­tionen: Unter­schied­liche Ressourcen und Bedürf­nisse in Bezug auf die einzelnen Individuen können als etwas Frucht­bares oder eben auch Furcht­bares empfunden und erlebt werden.

Dies setzt jedoch die grund­le­gende Bereit­schaft voraus, sich auf das Gegenüber einzu­lassen, Fragen zu stellen und auch das Sich-in-Frage-Stellen-Lassen zuzulassen.

Kurzfristig ist es vorder­gründig viel einfacher, seine Position zu kennen und diese als disku­tierbar zu vertreten. Damit ist die Grundlage für ausge­prägte Polari­täten geschaffen. Die Verhärtung von Positionen hebelt die Meinungs­bildung für etwas Neues aus. Viel frucht­barer und konstruk­tiver ist der Dialog – auch wenn sich dieser für jeden einzelnen auch anstrengend anfühlt.

Dialog schafft gemeinsame Wirklichkeit

Nur der Dialog selbst ermög­licht es, in Famili­en­sy­stemen neue Ideen, Modelle, Gedanken und Lösungs­an­sätze zu entwickeln. Es ist ein gemein­sames Ringen um Visionen, um Sinnstif­tendes und damit um gemeinsame Ziele.

Die Eigen­tümer können sich dann wirkungsvoll und konstruktiv in den Dienst des Unter­nehmens und der Familie stellen, wenn die Eigen­tümer in den Grund­zügen in eine gleiche Richtung gehen, die gleichen Stoss­rich­tungen vertreten und Ziele verfolgen. Dies kann (und soll) auch unter Berück­sich­tigung von privaten Freiräumen und klar definierten persön­lichen Grenzen geschehen.

Wir sprechen in unserer Arbeit dabei sehr gerne von der norma­tiven Kraft, die vom «Selbst­ver­ständnis Famili­en­un­ter­nehmen» ausgeht. Dieser Gemeinsinn kann Eingang finden in eine Famili­en­charta, in ein Leitbild, in eine Famili­en­vision oder auch in ein Nachfolgeleitbild.

Das Ringen um und für eine gemeinsame Idee und damit eine gemeinsame Wirklichkeit stellt dabei keine einmalige Aktion dar, um die Idee einmalig auf Papier zu bringen. Nur wenn Famili­en­mit­glieder regel­mässig die Ideen und Wertvor­stel­lungen und auch die Grenzen überprüfen und neu aushandeln, kann Verän­derung über die Zeit erkannt und adaptiert werden. Deshalb gilt es, im Dialog zu bleiben. Nur so wird Resonanz sichergestellt.

«Woher kommen wir? Wer sind wir? Warum sind wir hier? Wohin geht die Reise? Wofür stehen wir? Was ist unsere Aufgabe als Familie?» Diese und ähnliche Fragen können Antwort geben auf die sogenannte «Legacy» und damit verbunden eben auch auf des Selbst­ver­ständnis Famili­en­un­ter­nehmen: die Grundlage für die Kultur eines Famili­en­un­ter­nehmens und einer Unter­neh­mer­fa­milie. Dabei geht es quasi um das Erbe hinsichtlich Grund­werten, die weiter­ge­geben werden können.

Kommu­ni­kation als Schlüsselressource

«Ich meine zu wissen, was mein Vater denkt, und deshalb habe ich entschieden, dass ich es wie folgt mache.» Oder: «Ich weiss ja, wie meine Tochter funktio­niert, und deshalb habe ich für sie entschieden, dass…».
Solche und ähnliche Momente erleben wir immer wieder im Unter­neh­mer­alltag. Sind die getrof­fenen Annahmen noch immer korrekt? Was ist heute richtig und was ist falsch? Famili­en­mit­glieder wissen es nur, wenn sie von einer impli­ziten Kommu­ni­kation zu einer expli­ziten Kommu­ni­kation wechseln. Zu diesem Zweck kann es sehr wirkungsvoll sein, dass die Famili­en­mit­glieder in einem ersten Schritt Kommu­ni­ka­ti­ons­regeln definieren und gemeinsam lernen, sich diese anzueignen.

Das Training und die Routi­ni­sierung verändern mit der Zeit die Kommu­ni­ka­ti­ons­kultur. «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.» Eben nicht! Wir wollen und müssen Polari­täten überwinden, wenn sich ein Famili­en­un­ter­nehmen oder eine Unter­neh­mer­fa­milie für etwas Gemein­sames engagieren will.

Im Dialog kann verant­wor­tungsvoll und zukunfts­ge­richtet gestaltet werden.

Autor:

Dr. Frank Halter, St.Galler Nachfolge

Dieser Beitrag wurde erstmalig veröf­fent­licht bei Rahn und Bodmer, vgl. dazu

https://www.rahnbodmer.ch/notablog/2020/11/family-governance-jenseits-von-strukturen-und-recht/

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