Hat man Unternehmertum im Blut oder sind es spezifische Eigenschaften und Fähigkeiten, die man erlernen kann, um als Unternehmerin oder als Unternehmer Erfolg zu haben? Wir werfen einen Blick in Forschung und Praxis und sagen: am Ende geht’s um die Haltung, um Coolness, Herzblut, den offenen Blick für Neues und den Gestaltungswillen.
Führungsnachfolge ist anspruchsvoll. Davon handelt unsere jüngst publizierte Schrift und darüber haben wir auch bereits in verschiedenen Videos gesprochen. Eine Grundvoraussetzung für Führungsnachfolge ist natürlich, dass es eine Person gibt oder mehrere, welche die Führungsnachfolge antreten wollen. Dass also Persönlichkeiten da sind, die als Unternehmer oder Unternehmerinnen eine Firma führen und die Zukunft des KMU gestalten wollen — und dazu fähig sind.
Wer sucht, der findet zahlreiche Aus- und Weiterbildungen, mit denen man sich Wissen aneignen kann, rund um Unternehmertum und Geschäftsführung. Braucht es das? Braucht es nur das? Oder braucht es (auch) ein sogenanntes «Unternehmer-Gen»? Und falls es dieses Gen geben sollte — wie komme ich dazu? Und was ist damit überhaupt gemeint? Welche Persönlichkeitsmerkmale sind für Unternehmer:innen wichtig? Was glauben Sie?
Gehen wir diesen Fragen mal nach und schauen wir, was die Forschung uns lehrt und die Praxis uns zeigt.
Die Unternehmer-Persönlichkeit in der Forschung
Welche Verhaltensweisen machen eine Unternehmerin oder einen Unternehmer aus? Welche Persönlichkeitsmerkmale braucht jemand, der oder die ein Unternehmen führen möchte? Solche Fragen sind Gegenstand einer langen Forschungstradition.
Ein anerkanntes Standardmodell in der Persönlichkeitsforschung sind die “Big Five”. Es handelt sich dabei um ein Fünf-Faktoren-Modell, das besagt, dass fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit existieren. Gemäss dem Modell lässt sich die Persönlichkeit jedes Menschen auf folgender Skala einordnen:
- Offenheit für Erfahrungen,
- Gewissenhaftigkeit,
- Extraversion,
- Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie)
- und Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit).
Mit Hilfe von Tests, wird bei einem Menschen ermittelt, welcher Faktor wie stark ausgeprägt ist. Daraus resultiert dann ein Persönlichkeitsprofil. Im Idealfall lernt man sich, seine Stärken und Potenziale besser kennen und gewinnt Erkenntnisse zum eigenen Verhalten in verschiedenen Situationen.
Führung beginnt bei der eigenen Person. Deshalb ist Selbsterkenntnis ein Schlüssel für gute Führung.
Claudia Buchmann, Nachfolgeexpertin St. Galler Nachfolge
Nebst dem Big Five-Modell gibt es auch Tests, die einen stärkeren Bezug haben zur Berufswelt. So zum Beispiel das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP). Das BIP ist ein psychologisches Testverfahren, das berufsrelevante Persönlichkeitsmerkmale systematisch erfasst. Der Test macht u.a. Aussagen zu folgenden Dimensionen:
- Gestaltungsmotivation,
- Führungsmotivation,
- Handlungsorientierung,
- Durchsetzungsstärke,
- Belastbarkeit
- und Selbstbewusstsein.
Der Hauptnutzen beider Arten von Tests: sie unterstützen den Prozess der Selbsterkenntnis. Je besser sich jemand selber kennt, sein Verhalten und seine Stärken versteht, desto fundierter ist die Grundlage für wichtige Entscheide. Im Kontext der Führungsnachfolge können das z.B. Entscheide sein, in welchem Bereich sich jemand noch weiterbilden möchte (oder sollte) oder ob das Führungsteam noch durch eine weitere Person ergänzt werden sollte.
Zur Frage, ob es ein sogenanntes «Unternehmer-Gen» gibt, im Sinne von einer definierten Persönlichkeitsstruktur, welche die Voraussetzung ist für unternehmerischen Erfolg, dazu liefert die Forschung keine eindeutigen Hinweise.
Das Feld der Unternehmer:innen ist divers…
Dass in der Forschung bis heute keine bestimmte Persönlichkeitsstruktur festgestellt wurde, die garantiert, eine erfolgreiche Unternehmerin oder ein erfolgreicher Unternehmer zu sein, erstaunt nicht. Und deckt sich mit meiner Erfahrung in der Praxis. Ich kenne viele Unternehmer und Unternehmerinnen. Es sind sehr unterschiedliche Menschen und Persönlichkeiten, die sich in vielfältigen Branchen und Unternehmensgrössen bewegen.
Die einen sind extravertiert und damit gleich die besten Verkäufer ihrer Produkte, die anderen eher zurückhaltend. Beide sind erfolgreich. Die einen sind sehr handlungsorientiert, agieren immer im vordersten Fünftel, andere überlegen sich ihre nächsten Handlungen lieber ein zweites Mal und sind mit dieser Herangehensweise schon viele Male gut gefahren.
Die einen sind inspirierende Leader-Persönlichkeiten, andere führen ihr Team über ihr Expertenwissen. Dieselbe Beobachtung mache ich auch bei der jungen Generation, die in die Fussstapfen ihrer Väter und Mütter treten will: Die Diversität, wie sie Aufgaben anpacken, wie sie sich verhalten und wie sie mit anderen Menschen umgehen, ist gross.
…und ihre Herausforderungen ebenfalls
Die Marktentwicklungen, Lieferketten, der momentane Stand im Unternehmenszyklus, in dem sich das eigene KMU befindet, die Kundenbedürfnisse, interne Prozesse oder die Personalsituation – dies alles sind äussere und innere Faktoren, welche Unternehmerinnen und Unternehmer täglich beschäftigen.
Diese vielschichtigen unternehmerischen Herausforderungen, ob von aussen oder innen getrieben, ob auf operativer oder strategischer Ebene angesiedelt, verlangen passende und damit hoch individuelle unternehmerische (Re-)Aktionen.
Den goldenen Pfad, den es zu gehen gilt, den gibt es nicht. Ebenso wenig, wie die eine goldene Regel, wie ein Unternehmer oder eine Unternehmerin zu sein hat. Eigenschaften, die einem bei unternehmerischen Herausforderungen zugute kommen, die kann man allerdings schon benennen, dazu später mehr.
Prägung Familienunternehmen
Was ist denn aber nun mit den Kindern, die in ein Familienunternehmen hineingeboren werden und umgeben von Unternehmertum aufwachsen? Sind das automatisch die geborenen Unternehmerinnen und Unternehmer?
In diesem Kontext relevant ist das Bewusstsein, dass sich in Familienunternehmen zwei Sozialsysteme vermischen: das der Familie und das des Unternehmens. Und dieser Umstand hat natürlich einen Impact auf die Prägung der Kinder, muss aber nicht zwingend dazu führen, dass die junge Generation in die Unternehmer-Fussstapfen treten.
Wenn beispielsweise beim Abendessen über die Firma gesprochen wird, dann bekommt das Unternehmen auch in der Familie eine gewisse Präsenz. Dasselbe geschieht, wenn Jugendliche im Familienunternehmen während ihrer Schulferien arbeiten und sich so einen Zustupf zu ihrem Taschengeld verdienen.
Wird diese Verbindung Familie-Unternehmen als positiv erlebt, so kann auch für die junge Generation eine starke Bindung zum Familienunternehmen entstehen und damit möglicherweise der Wunsch, einst in die Fussstapfen der Mutter oder des Vaters zu treten.
Man wird nicht als Unternehmer:in geboren, doch die Familie kann einen wichtigen Beitrag leisten, dass die junge Generation einen positiven Bezug entwickelt zum Unternehmer:innen-Sein.
Claudia Buchmann, Nachfolgeexpertin St. Galler Nachfolge
Doch selbst wenn die Verbindung Familie-Unternehmen als positiv erlebt wird (was nicht immer der Fall ist), muss das nicht automatisch bedeuten, dass die Nachkommen den Wunsch entwickeln, später einmal im Familienunternehmen Verantwortung zu übernehmen. In einer (Arbeits-)Welt wie heute, die einem unzählige Möglichkeiten eröffnet, ist dies eine Option unter vielen.
Aktuelle Zahlen zeigen, dass junge Menschen vermehrt andere Wege einschlagen, als ins elterliche Unternehmen einzusteigen. Die Bedeutung der familieninternen Nachfolgen hat abgenommen. Heute liegt der Anteil der familienintern getroffenen Nachfolgelösungen bei 40 Prozent. Vor 15 Jahren wurden noch 6 von 10 Firmen familienintern übergeben.
Kann man Unternehmertum lernen?
Ohne Fachwissen führt man kein Unternehmen erfolgreich. Aber auch hier ist es individuell, was es braucht. Auch als Quereinsteiger:in kann ich ein KMU erfolgreich führen, sofern die Konstellation rund herum stimmt. Genauso wie ich mich als Fach- und Handwerksexperte im Bereich Führung, Betriebswirtschaft, Finanzwesen oder Marketing weiterbilden kann, sodass ich auf diesen Gebieten kompetent werde und in der Lage bin, Entscheide zu fällen, allenfalls mit der entsprechenden Fachperson an meiner Seite.
Mindestens ebenso wichtig, wie Fachwissen, das man sich aneignen kann, scheint mir: Die Erfahrung, der offene Blick für Neues und der Wille, von anderen zu lernen. Diese Haltung ist meines Erachtens eine elementare Grundvoraussetzung und ergänzt das fachliche und überfachliche Wissen und Können – Tag für Tag.
Ich weiss noch, als ich angefangen hatte: Ich habe so viel noch nicht gewusst. Und ich habe mir gesagt: Jeden Tag lerne ich dazu.»
Unternehmer
Wenn ich mit heutigen und künftigen Unternehmer:innen zusammenarbeite, fällt mir immer wieder auf, wie hoch ihr Gestaltungswille ist, dass sie Zutrauen zu sich und anderen besitzen und dass sie an ihren Erfolg glauben.
Dazu gehört auch eine gewisse Coolness oder Unerschütterlichkeit, sich von Widrigkeiten nicht vom Kurs abbringen zu lassen und gleichzeitig flexibel auf sich verändernde Umstände zu reagieren. Bei Unternehmerinnen und Unternehmern spüre ich immer wieder dieses grosse Herzblut und das innere Feuer, das sich in Wortwahl und Gesichtsausdruck und in den unternehmerischen Taten zeigt. Das wirkt ansteckend. Genauso wie die Dankbarkeit, die viele Unternehmer verspüren und zeigen. Denn: Vieles ist selbst beeinflussbar; gleichzeitig braucht es auch ein Quäntchen Glück.
Was ich in der Praxis erlebe, zeigt mir, dass ein paar allgemeine Persönlichkeitseigenschaften oder fachliche Expertise nicht ausreichen, um dieser hoch individuellen unternehmerischen Komplexität tagtäglich erfolgreich zu begegnen. Ein sogenanntes “Unternehmer-Gen” gibt es meines Erachtens nicht. Aber sehr wohl eine unternehmerische Grundhaltung, die Dinge anzupacken und durchs Leben zu gehen.
Mehr zur Führungsnachfolge
Für alle, die sich vertieft mit der Führungsnachfolge auseinandersetzen möchten, haben wir spannende Unterlagen aufbereitet und Videos produziert:
- Schrift «KMU Führungsnachfolge»
- Frank Halter im Gespräch: Herausforderung Führungsnachfolge
- Claudia Buchmann im Gespräch: Mit Governance die Führungsnachfolge stärken
- Lisa Benz im Gespräch: Mit Führungsrollen neue Perspektiven eröffnen
Im Download-Center finden Sie zudem unter dem Schlagwort “Governance” ergänzende Arbeitsblätter.
Fotonachweis: Shutterstock | Abbildungen: © LeMar, Bernd
Literaturhinweis: LeMar, Bernd (2014): Generations- und Führungswechsel im Familienunternehmen. 2. Auflage. Springer Gabler: Berlin, Heidelberg.