In der imaginären Garderobe einer Unternehmerpersönlichkeit hängen viele Hüte. Hüte, die nacheinander und manchmal sogar übereinander gestülpt, getragen werden. Bewusst geschieht das meistens nicht, in der Regel tragen Unternehmerinnen und Unternehmer ihre Hüte intuitiv und füllen die einzelnen Rollen aus, in die sie über die Zeit hineingewachsen sind. Seine Hüte zu kennen und sie bewusst zu tragen (oder in der Garderobe hängen zu lassen) ist elementar. Was wir damit meinen und was wir im Kontext der Unternehmensnachfolge unter diesen Hüten verstehen, davon handelt dieser Text.
Wie viele Hüte hängen bei Ihnen in der Garderobe? Seine Hüte zu kennen und sie bewusst zu tragen, bedeutet, dass man Klarheit hat in Bezug auf die eigene Rolle. In dieser Klarheit liegt viel Kraft. Sie ist eine elementare Voraussetzung für gelingende Prozesse, z.B. dann, wenn es darum geht, die Führung der nächsten Generation zu übergeben.
Wenn ein “Generationenwechsel” ansteht, können während dem Prozess viele Themen zu Stolpersteinen werden. Je nachdem, wie man damit umgeht, entstehen Schwierigkeiten oder es eröffnen sich Chancen. Gerade in schwierigen Momenten kann Rollenklarheit und das bewusste Tragen seines Hutes dazu beitragen, dass nicht ein Konflikt entsteht.
Im Kontext der Unternehmensnachfolge unterscheiden wir Governance- und Führungsrollen.
Wenn Generationen zusammenarbeiten
KMU realisieren meist familien- oder firmeninterne Nachfolgelösungen, die Fachbegriffe dafür sind FBO (familieninterne Nachfolge) und MBO (firmeninterne Nachfolge). Bei einem FBO und MBO wird in der Regel zuerst die Führungsnachfolge angegangen, bevor später das Thema Eigentumsnachfolge angepackt wird. Dadurch arbeiten die übergebende und die übernehmende Generation meist mehrere Jahre gemeinsam im Unternehmen.
Diese generationenübergreifende Zusammenarbeit bedeutet, dass langjährig eingeübte und verinnerlichte Rollen verändert (übergebende Generation) und neue Rollen angemessen eingenommen (übernehmende Generation) werden müssen. Dieser Prozess ist für alle Beteiligten spannend und kann eine grosse Herausforderung sein, weil Muster, die über viele Jahre (oft intuitiv und unbewusst) gelebt worden sind, aktiv und bewusst verändert werden (müssen).
Damit dieser wichtige Veränderungsprozess gelingt, braucht es das Bewusstsein für die verschiedenen Rollen entlang der Governance-Struktur des Unternehmens. Dabei unterscheiden wir drei Verantwortungsstufen:
- die Verantwortung als Eigentümer oder als Eigentümerin,
- die strategische Verantwortung und
- die operative Verantwortung.
Viele Unternehmer:innen, welche ihr KMU über viele Jahre mehrheitlich alleine an der Spitze geführt haben, sind sich oft nicht bewusst, dass sie viele Entscheidungen in Personalunion als Eigentümer:in, Verwaltungsrat oder Verwaltungsrätin und als Geschäftsführer:in gefällt haben. Das heisst, sie nehmen drei Rollen gleichzeitig wahr.
Diese drei Rollen zu unterscheiden war in der Vergangenheit auch nicht unbedingt notwendig, denn eines wussten diese Unternehmer:innen ganz klar: Sie sind auf diese Weise schnell und effizient. Diese schlanken Strukturen und kurzen Entscheidungswege machen ja auch einen Teil der Attraktivität von KMU aus.
Governance-Rollen schaffen Klarheit beim Übergang
Wenn nun der Generationenwechsel ansteht, muss die Personalunion überdacht und diese Verhaltensweisen angepasst werden. Wenn nun der Sohn, die Tochter und/oder ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin im Rahmen der Führungsnachfolge die Geschäftsführung vom Firmeninhaber übernimmt, dann sind auf den drei Ebenen “Eigentum”, “strategische Verantwortung” und “operative Verantwortung” neu mehr als eine Person beteiligt. Das bedeutet, dass sich Schnittstellen ergeben, die gemeinsam geklärt, besprochen und vor allem bewusst gemacht werden müssen. Nur so kann gewährleistet werden, dass man den Übergang der bisherigen Führungsgeneration zu den neuen Chefs und Chefinnen aktiv und gut gestalten kann.
Die neue Ausgestaltung dieser Rollen ist “in der Theorie” einfacher als im Alltag. Vor allem zu Beginn braucht es ein bewusstes “Verlernen” der alten Muster und ein “Einüben” der neuen Verhaltensweisen.
Claudia Buchmann, Nachfolgeexpertin St. Galler Nachfolge
Das Bewusstsein für die unterschiedlichen Rollen schafft Klarheit. Und diese braucht es beispielsweise, wenn es darum geht:
- wer auf welcher Stufe was zu entscheiden hat
- und wer wen worüber informiert.
Wenn es um das operative Tagesgeschäft geht, liegt die Verantwortung bei der neuen Geschäftsleitung. Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die dazu gehören, sind:
- die Führung der Geschäftsleitungsmitglieder,
- Personalentscheide,
- die Umsetzung der Marketingstrategie
- u.v.m.
Beispiel aus der Praxis
Machen wir ein konkretes Beispiel: Nehmen wir an, Ihr KMU benötigt mehr Platz für die Produktion und es muss eine neue Halle gebaut werden. Der Neubau dieser neuen Halle ist ein Bedürfnis, das aus dem operativen Tagesgeschäft heraus entsteht. Dass es diesen Neubau braucht, das kann von der operativen Geschäftsleitung beim Verwaltungsrat angeregt werden. Als verantwortliches Gremium für die Strategie entscheidet der Verwaltungsrat darüber, ob die Halle gebaut wird oder nicht.
Sollte die Halle gebaut werden, so liegt die Führung der Projektplanung bei der Geschäftsleitung, die den Verwaltungsrat regelmässig über den Fortschritt des Bauvorhabens orientiert. Der Entscheid des Verwaltungsrats wiederum nimmt auf die Eigner-Strategie Bezug, die auf der Eigentümer-Ebene vorgezeichnet wird. Diese umfasst beispielsweise Aussagen zur Wachstumsstrategie und zu finanziellen Zielsetzungen.
Unsere Erfahrung in der Praxis zeigt, dass die neue Ausgestaltung dieser Rollen “in der Theorie” einfacher ist als im Alltag. Vor allem zu Beginn braucht es ein bewusstes “Verlernen” der alten Muster und ein “Einüben” der neuen Verhaltensweisen. Wenn dies nicht auf Anhieb klappt, braucht es gegenseitige Toleranz und klärende Gespräche, damit das Bewusstsein für die neuen Rollen weiter geschärft wird. Hier gilt wie oft im Leben: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und auch keine Meisterin.
Rollen bestimmen auch die Führungsarbeit
Jede Führungsperson kennt das: Führung ist ungleich Führung, denn Führungsarbeit beinhaltet unterschiedliche Aufgaben, findet in unterschiedlichen Zusammensetzungen statt, verfolgt unterschiedliche Ziele. Wir können also auch im Zusammenhang von Führungsarbeit von Rollen sprechen. Und auch dort schafft Rollenklarheit Mehrwert.
In der Praxis arbeite ich gerne mit einem Modell, das folgende vier Typen von Führungsrollen unterscheidet:
- Leader
- Experte
- Manager
- Entwickler
Je nachdem, was mit der Führungsarbeit erreicht werden soll, sind andere Aufgaben mit dieser Zielerreichung verbunden. Dies wiederum geht mit unterschiedlichen Rollen einher.
Als “Leader” vermittelt eine Führungsperson Sinn und Nutzen der zu erledigenden Arbeit. Damit fördert sie beispielsweise das Verständnis für die Zusammenhänge und Wirkmechanismen zwischen einzelnen Abteilungen. Im besten Fall schafft sie auf diese Weise ein “Wir-Gefühl”, damit alle am gleichen Strang ziehen. Das Fachwissen als “Experte” legitimiert viele Unternehmer:innen für ihre Rolle an der Spitze eines KMU. Ihre Erfahrung im Beruf und in der Branche ist intern wie extern von grosser Relevanz. Schauen, dass das operative Tagesgeschäft läuft – da sind die Qualitäten eines “Managers” gefragt. Reibungslose Abläufe und Effizienz sind hier wichtige Faktoren. In der Rolle als “Entwickler” erkennt die Führungsperson das Potenzial ihrer Mitarbeitenden und fördert sie weiter in ihrer Kompetenz, damit das Unternehmen nicht nur mit den heutigen Herausforderungen umgehen, sondern die zukünftigen Herausforderungen für sich nutzen kann.
Diese vier Rollen lassen sich nicht scharf trennen, sondern spielen ineinander. Eine Führungsperson kann – je nach Situation und Gegenüber – die unterschiedlichen Rollen einnehmen. Das ist sehr anspruchsvoll, deshalb sehen wir in der Praxis oft, dass Führungspersonen Präferenzen haben, d.h. die eine oder andere Rolle vermehrt einnehmen.
Auch den Führungswandel bewusst gestalten
Ziel des Modells ist es also, dass eine Führungsperson ihre Stärken und Vorlieben zum Nutzen der Firma einsetzen kann und das Führungsteam allenfalls mit Personen ergänzt, die Bereiche engagiert abdecken, die man selber nicht gleich gut bedienen kann.
In Führungsteams, die wir immer öfter sehen, gibt es die Möglichkeit, dass die Einzelnen sich auf bestimmte Rollen fokussieren und einander gut ergänzen.
Lisa Benz, Expertin KMU Führung
Im Kontext des Generationenwechsels lohnt es sich, dass sich die übergebende und die übernehmende Generation einerseits bewusst überlegen, wer welche Präferenzen hat. Andererseits ist auch die Frage relevant, welche Herausforderungen im Unternehmen künftig anstehen und welche Rollen für die erfolgreiche Zukunftsgestaltung besonders dienlich resp. erforderlich sind.
Der Generationenwechsel als Veränderungsprozess bietet die Möglichkeit zu gestalten. Wer sich bewusst mit den Fragen oben auseinandersetzt, erhält die Möglichkeit, den Wandel bewusst zu gestalten, sodass alle profitieren: die involvierten Personen und auch das Unternehmen.
Der Sohn oder die Tochter muss ja nicht dieselbe Rolle einnehmen, die der Vater über viele Jahre bevorzugte. Auch für die übergebende Generation ergibt sich die Chance, sich bewusst zu fragen, ob denn in der Phase der generationenübergreifenden Zusammenarbeit noch eine andere Führungsrolle stärker zum Zug kommen sollte. Wir sehen viele Senior-Unternehmer, die in dieser Phase gerne die Rolle des Entwicklers und Mentors übernehmen.
Dialog und Reflexion als Basis
Meine Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass das Bewusstsein der eigene(n) Rolle(n) – im Kontext der verschiedenen Verantwortungsstufen (Governance) und in der Führung grosse Klarheit schafft: in der Zusammenarbeit und in der Kommunikation.
Das fällt in der Regel niemandem in den Schoss. Es braucht daher Reflexionsbereitschaft und Dialogfähigkeit. Dazu gehört auch der Wille, gemeinsam, generationenübergreifend Neues zu lernen, einzuüben und mit “Fehlern” konstruktiv umzugehen. Toleranz, eine Prise Humor und das Verfolgen des gemeinsamen Ziels “gelingender Generationenwechsel” sind weitere Zutaten für den Umgang mit Rollen.
Mehr zum Thema “Führungsnachfolge”
Für alle, die sich vertieft mit dem Thema “Führungsnachfolge” auseinandersetzen möchten, haben wir spannende Inhalte aufbereitet:
- Download PDF “Führungsnachfolge: Governance-Rollen & Führungsverhalten”
- Download Schrift “KMU Führungsnachfolge”
- Frank Halter im Gespräch: Herausforderung Führungsnachfolge
- Claudia Buchmann im Gespräch: Mit Governance die Führungsnachfolge stärken
- Lisa Benz im Gespräch: Mit Führungsrollen neue Perspektiven eröffnen
Im Download-Center finden Sie zudem unter dem Schlagwort “Governance” ergänzende Arbeitsblätter.
Fotonachweis: Shutterstock | Abbildungen: © St. Galler Nachfolge