Wer als Tochter oder Sohn in einem Familienunternehmen aufwächst, steht meistens irgendwann vor der Frage, ob der Einstieg in die Firma ein Thema sein könnte oder nicht. Eine Frage, die nicht auf die Schnelle zu beantworten ist. Schon gar nicht in der Welt von heute, in der sich auch berufliche Wege ein Leben lang verändern und die persönliche Entfaltung wie auch Lebensqualität und die Work-Life-Balance wichtige Entscheidungsfaktoren sind bei dem, was man tut. Ladina Schmidt Boner begleitet Unternehmerkinder und ‑familien auf dem Weg zu Antworten — St. Galler Nachfolge hat mit ihr gesprochen.
Wie Unternehmerkinder an die Frage der Unternehmensnachfolge herangehen können, um für sich eine nachhaltig gute Antwort zu finden, darüber haben wir mit Ladina Schmidt Boner gesprochen. Sie ist selbst ein Unternehmerkind. Eines, das sich gegen die Nachfolge im Familienbetrieb entschieden hat und heute als Psychologin, Organisations- und Laufbahnberaterin Menschen bei der beruflichen Entwicklung begleitet und Familienunternehmen bei der Nachfolge berät, insbesondere wenn es um die psychologischen und emotionalen Herausforderungen geht, die eine Nachfolge mit sich bringt.
Ladina Schmidt, als Unternehmerkind aufzuwachsen, in enger Verbindung mit dem Familienunternehmen, scheint Herausforderung und Chance zugleich. Wie ergeht es Unternehmerkindern, die Sie begleiten – wie erleben es diese?
Bei vielen Unternehmerkindern ist eine starke Verbundenheit und Loyalität den Eltern und dem Unternehmen gegenüber spür- und sichtbar. Insbesondere dann, wenn die Beziehung zu den Eltern und dem Unternehmen mehrheitlich als positiv beschrieben wird. Eine Verstrickung besteht meines Erachtens bei allen und es gilt, genau hinzuschauen und sich als Unternehmerkind mit verschiedenen Fragen auseinanderzusetzen:
- Ziehe ich eine Nachfolge in Betracht, weil ich es wirklich will und dies meinen Fähigkeiten, Werten und Interessen entspricht?
- Oder habe ich vielmehr das Gefühl, die Nachfolge antreten zu müssen, weil es von mir erwartet wird, ich es schon als Kind wollte und mir das so erzählt wurde oder ich es den Eltern bzw. den vorangegangenen Generationen schulde?
- Will ich dadurch (endlich) von meinen Eltern gesehen werden?
- Was passiert, wenn ich es nicht mache?
Das Spezielle an Familienunternehmen ist ja, dass sich das System “Familie” und das System “Unternehmen” vermischen. Was gibt es dabei Wichtiges zu berücksichtigen, gerade wenn irgendwann die Frage der Nachfolge im Raum steht?
Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass man in diesem Prozess von allen Seiten her möglichst ehrlich bleibt und im Sinne des Unternehmens, der Familie und der Nachfolger:innen Entscheidungen trifft. Es gilt ein klares Anforderungsprofil für den Nachfolger oder die Nachfolgerin zu definieren und dieses objektiv zu prüfen.
Geht es um den Job und die unternehmerischen Themen, die meinen Interessen und Fähigkeiten entsprechen oder geht es mehr um familiäre Themen wie Liebe, Loyalität, Verantwortung, Macht, Konkurrenz und darum, Erwartungen zu erfüllen?
Ladina Schmidt, Psychologin, Organisations- und Laufbahnberaterin
Bei den Nachfolgern:innen stellt sich die Frage der Motivation, der Kompetenzen und Interessen. Es ist aus meiner Sicht sehr hilfreich, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein und sich zu fragen, was mich dazu führt, mich für die Nachfolge zu interessieren. Geht es um den Job und die unternehmerischen Themen, die meinen Interessen und Fähigkeiten entsprechen oder geht es mehr um familiäre Themen wie Liebe, Loyalität, Verantwortung, Macht, Konkurrenz und darum, Erwartungen zu erfüllen?
Sie haben die Währung “Liebe” angesprochen. Sich als Sohn oder Tochter mit der Frage der Nachfolge zu beschäftigen, eröffnet ja auch vor diesem Hintergrund ein Spannungsfeld. Wie findet ein Unternehmerkind objektiv heraus, was es wirklich will?
Das Unternehmerkind muss dies nicht objektiv herausfinden, im Gegenteil. Es geht vielmehr darum, diese Fragen subjektiv, also für sich ganz persönlich zu klären:
- Wer bin ich?
- Was will ich?
- Was macht mir Freude?
- Was kann ich gut?
- Was treibt mich an?
- Wo will ich hin?
Diese Fragen für sich zu reflektieren, erachte ich als sehr wichtig. Oft ist es hilfreich, diese Fragen im Rahmen einer Beratung oder eines Coachings zu beantworten. Es bedarf einer gewissen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit, ehrlich zu sich und anderen zu sein und mutig den eigenen Weg zu gehen.
Diesen Mut braucht es unabhängig des Entscheides “Nachfolge ja oder nein”: Wenn ich mich für die Nachfolge entscheide, so braucht es Standfestigkeit, das Unternehmen auf meine eigene Art und Weise zu führen und weiterzuentwickeln. Wenn ich mich gegen die Nachfolge entscheide, so braucht dies ebenfalls einen guten Boden, selbstbewusst sich selber treu zu bleiben und seine Ziele zu verfolgen. Somit ist dieser Prozess der Standortbestimmung und Selbstreflexion eine gute Vorbereitung auf das, was kommt.
Es gilt auseinanderzuhalten, was die Familie braucht, damit sie funktioniert und was die Unternehmung fordert, um zu überleben und sich weiterzuentwickeln.
Ladina Schmidt, Psychologin, Organisations- und Laufbahnberaterin
Was, wenn Geschwister dasselbe wollen – nämlich die Nachfolge antreten. Was gibt es in einer solchen Situation zu berücksichtigen?
Wenn Geschwister die Firma übernehmen wollen, stehen verschiedene Fragen im Zentrum:
- Wie sind die Beziehungen unter den Geschwistern?
- Können sich alle eine Zusammenarbeit vorstellen?
- Wie muss diese ausgestaltet sein?
- Macht es für das Unternehmen Sinn?
- Haben die Geschwister unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten?
- Sieht sich die eine Tochter als CEO, CFO oder in der Produktentwicklung und die andere in einer ergänzenden Funktion?
Ich kenne ein Unternehmen, da funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut. Die eine Tochter hat die Geschäftsführung übernommen und die andere Tochter arbeitet als Mitarbeiterin mit. Die beiden Schwestern haben ein sehr gutes Verhältnis, sie vertrauen sich gegenseitig, unterstützen sich und die Verantwortlichkeiten sind klar geregelt. Ich denke, dies sind wichtige Voraussetzungen fürs Gelingen.
Bei Familienunternehmen gibt es ja eine familiäre Perspektive und eine unternehmerische Perspektive. Wie kommt man zu einer objektiven Auslegeordnung, die für alle eine gute Entscheidungsgrundlage ist?
Es wird in der Literatur immer wieder betont, dass es bei Entscheidungen sehr wichtig ist, die Systeme separat zu betrachten. Es gilt auseinanderzuhalten, was die Familie braucht, damit sie funktioniert und was die Unternehmung fordert, um zu überleben und sich weiterzuentwickeln. Gleichzeitig hilft es, wenn es trotz unterschiedlichen Perspektiven etwas Verbindendes gibt, hinter dem alle stehen können, z.B. gemeinsame Werte, eine gemeinsame Vision, das Bild des grossen Ganzen. Um dies zu entwickeln und zu erhalten, braucht es eine gewisse Verbundenheit, Vertrauen, Ehrlichkeit und Transparenz.
Ist dies gegeben, können auch Entscheide von allen besser nachvollzogen werden und es ist klar, dass das Unternehmerkind als Nachfolger:in gewählt wird, weil er oder sie dem Anforderungsprofil entspricht, welches es als Geschäftsführer:in braucht und nicht, weil er oder sie das Kind ist.
Für die Entwicklung der Persönlichkeit ist es wichtig, sich eigenständig und unabhängig entwickeln zu dürfen und den eigenen Weg gehen zu können. Dies kommt mittel- bis langfristig auch dem Unternehmen zugute.
Ladina Schmidt, Psychologin, Organisations- und Laufbahnberaterin
Und wie erarbeitet sich eine Unternehmerfamilie und ein Familienunternehmen eine solche Grundlage, wenn man selbst unternehmerisch und emotional involviert ist?
Tragfähige Beziehungen sind das A und O in funktionierenden sozialen Systemen. Es ist wichtig, in der Familie sowie im Unternehmen eine konstruktive Kommunikation und Konfliktfähigkeit zu fördern. Unterschiedliche Meinungen und Einstellungen sollen erlaubt sein. Für die Entwicklung der Persönlichkeit ist es wichtig, sich eigenständig und unabhängig entwickeln zu dürfen und den eigenen Weg gehen zu können. Dies kommt mittel- bis langfristig auch dem Unternehmen zugute.
Dies alles kann in der Unternehmerfamilie von klein auf gefördert und unterstützt werden. Zusammenfassend sind dabei folgende Punkte hilfreich zu beachten:
- Kommunikations- und Konfliktfähigkeit fördern
- Eigenständige Entwicklung der Nachfolger:innen unterstützen
- Verschiedene Sichtweisen und Werthaltungen akzeptieren
- In Szenarien denken. Es gibt nicht nur (m)eine Lösung!
Weiter ist es wichtig, den Nachfolger:innen Platz zu machen und ihnen die Perspektive zu geben, sich und das Unternehmen unabhängig von der abgebenden Generation weiterentwickeln zu können. Das bedeutet, dass die abgebende Generation sich allenfalls eine neue Aufgabe und Herausforderung suchen muss. Dies ist verständlicherweise nicht einfach, doch ein wichtiger Teil eines erfolgreichen Übergabeprozesses.
Der Gedanke an eine mögliche Nachfolge kann auch die Berufswahl beeinflussen. Was raten Sie einem Unternehmerkind, wenn es um Entscheide geht rund um die berufliche Laufbahn und die persönliche Entwicklung?
Mit Ratschlägen halte ich mich grundsätzlich zurück, denn ich bin überzeugt, dass jeder und jede für sich herausfinden muss, was er oder sie möchte. Sehr gerne biete ich jedoch den Rahmen für Reflexion während der Entscheidfindung. Sodass die Person für sich entscheiden kann, was für sie passt.
Um berufliche Entscheide zu fällen, hilft es, wie bereits gesagt, sich selber gut zu kennen: Wer bin ich? Was macht mich aus? Wo möchte ich hin? Wie gelingt mir die Umsetzung meiner Träume und Visionen?
In der Beratung unterstütze ich Menschen, sich klar zu werden, welche Interessen und Motive sie leiten, auf welche Fähigkeiten und Kompetenzen sie zurückgreifen können, welche Lebensthemen sie beeinflussen, welche Ressourcen sie unterstützen und welchen Visionen sie Raum und Zeit schenken wollen.
Im Rahmen der Beratungen braucht es manchmal auch Zwischenschritte, um dann zu einem Entscheid zu kommen. Solche Schritte können zum Beispiel sein:
- Verschiedene berufliche Optionen ausprobieren
- Eigene Vorstellungen und Visionen transparent machen, bevor man entscheidet
- Kompetenzen und Verantwortlichkeiten während der Übergangszeit klären
- Ansprechen, was die Eltern nach der Übergabe für Pläne und Visionen haben
- Eine Abmachung treffen, wie die Zusammenarbeit mit Eltern und Geschwistern nach der Übernahme gestaltet wird
Sie beobachten, dass sich heute die junge Generation oft nicht schon mit 30 Jahren festlegen möchte, ob sie ins Familienunternehmen einsteigen möchte oder nicht. Was bedeutet das für den Entscheidungsprozess des Unternehmerkindes einerseits und andererseits des Familienunternehmens in Form der übergebenden Generation?
In einem ersten Schritt gilt es meines Erachtens, die potenziellen Nachfolger:innen darin zu bestärken, für sich zu klären, weshalb sie zögern. Wollen sie noch nicht jetzt so viel Verantwortung übernehmen? Oder haben sie generell Bedenken? Sehen sie für sich grundsätzlich andere Möglichkeiten? Trauen sie es sich nicht zu? Wollen sie sich zuerst noch in anderen Unternehmen bewähren und beweisen? Zieht es sie ins Ausland? Wollen sie nicht mit den Eltern im gleichen Betrieb arbeiten? Was brauchen sie, damit sie sich entscheiden können?
Wenn Zweifel da sind und Kinder zögern, ist es wichtig zu verstehen, worum es dabei geht — stehen generelle Bedenken im Raum oder geht es um andere Faktoren.
Ladina Schmidt, Psychologin, Organisations- und Laufbahnberaterin
Erst wenn sie selbst wissen, worum es ihnen geht, können sie den nächsten Schritt tun. Weiter ist es wichtig, diese Themen im Gespräch mit den Eltern oder der Familie aufzunehmen und zu schauen, was es für Szenarien gibt.
Welche Szenarien sind denkbar auf dem Weg zur Nachfolge?
Szenarien sind immer abhängig von den Rahmenbedingungen. Es gibt keine Patentlösung, immer wieder aber gibt es auch erstaunlich “neue” Möglichkeiten, wenn man es wagt, mal neu und offen zu denken. Es gibt nie nur das eine — das eigene — Szenario.
Welche Empfehlungen möchten Sie einem Unternehmerkind und auch den Eltern auf den Weg mitgeben, wenn es darum geht, die Zukunft der Firma – in welcher Form auch immer – zu gestalten?
Ich empfehle allen, frühzeitig ins Gespräch zu kommen. Sich ehrlich und transparent auszutauschen, die eigenen Vorstellungen, Wünsche und Ideen zu äussern. Dabei gilt es auch unterschiedliche Interessen und Sichtweisen zu akzeptieren. Wichtig ist aber, gemeinsam Szenarien und mögliche Lösungen zu entwickeln und dabei immer im Hinterkopf zu behalten: es gibt nicht nur eine einzige richtige Lösung. Es ist wichtig, in Szenarien zu denken. Die sich übrigens auch über die Zeit hinweg verändern können.
Auf unserer Plattform finden Sie weiterführende Unterlagen rund um das Thema Nachfolgeprozess. Unter anderem empfehlen wir Ihnen folgende Beiträge.
- Video: Claudia Buchmann darüber, wie die Vision “Unternehmertum” Realität wird
- Dossier: KMU Führungsnachfolge (Schrift 11)
- Dossier: KMU Nachfolge wirkungsvoll gestalten (Schrift 2)
- Video: Frank Halter über die Herausforderung Führungsnachfolge
- Dossier: KMU Nachfolge und meine Vision — Das Zielbild schärfen und verwirklichen (Schrift 3 | wird in Kürze publiziert)
- Michael Müller im Gespräch: Unternehmerkind und geschäftsführender Inhaber (wird in Kürze publiziert)
- Fabienne Schaub im Gespräch: Unternehmerkind und künftige Geschäftsführerin (wird in Kürze publiziert)
Im Download-Center stellen wir Ihnen diverse Unterlagen und Arbeitsblätter kostenlos zur Verfügung.
ÜBER LADINA SCHMIDT BONER
Ladina Schmidt Boner unterstützt als Psychologin, Organisations- und Laufbahnberaterin Menschen und Unternehmen, sich nach ihren Kompetenzen, Interessen, Werten und Ressourcen auszurichten und sich so weiterzuentwickeln, dass es für sie mittel- und langfristig zufriedenstellend, gesund und gewinnbringend ist. Mehr über Ladina Schmidt.
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