Blog 31: Familienunternehmen und die Frage der Nachfolge — wie Töchter und Söhne gute Antworten finden

Wer als Tochter oder Sohn in einem Famili­en­un­ter­nehmen aufwächst, steht meistens irgendwann vor der Frage, ob der Einstieg in die Firma ein Thema sein könnte oder nicht. Eine Frage, die nicht auf die Schnelle zu beant­worten ist. Schon gar nicht in der Welt von heute, in der sich auch beruf­liche Wege ein Leben lang verändern und die persön­liche Entfaltung wie auch Lebens­qua­lität und die Work-Life-Balance wichtige Entschei­dungs­fak­toren sind bei dem, was man tut. Ladina Schmidt Boner begleitet Unter­neh­mer­kinder und ‑familien auf dem Weg zu Antworten — St. Galler Nachfolge hat mit ihr gesprochen.

Wie Unter­neh­mer­kinder an die Frage der Unternehmens­nach­folge heran­gehen können, um für sich eine nachhaltig gute Antwort zu finden, darüber haben wir mit Ladina Schmidt Boner gesprochen. Sie ist selbst ein Unter­neh­merkind. Eines, das sich gegen die Nachfolge im Famili­en­be­trieb entschieden hat und heute als Psycho­login, Organi­sa­tions- und Laufbahn­be­ra­terin Menschen bei der beruf­lichen Entwicklung begleitet und Famili­en­un­ter­nehmen bei der Nachfolge berät, insbe­sondere wenn es um die psycho­lo­gi­schen und emotio­nalen Heraus­for­de­rungen geht, die eine Nachfolge mit sich bringt.

Ladina Schmidt, als Unter­neh­merkind aufzu­wachsen, in enger Verbindung mit dem Famili­en­un­ter­nehmen, scheint Heraus­for­derung und Chance zugleich. Wie ergeht es Unter­neh­mer­kindern, die Sie begleiten – wie erleben es diese?

Bei vielen Unter­neh­mer­kindern ist eine starke Verbun­denheit und Loyalität den Eltern und dem Unter­nehmen gegenüber spür- und sichtbar. Insbe­sondere dann, wenn die Beziehung zu den Eltern und dem Unter­nehmen mehrheitlich als positiv beschrieben wird. Eine Verstrickung besteht meines Erachtens bei allen und es gilt, genau hinzu­schauen und sich als Unter­neh­merkind mit verschie­denen Fragen auseinanderzusetzen: 

  • Ziehe ich eine Nachfolge in Betracht, weil ich es wirklich will und dies meinen Fähig­keiten, Werten und Inter­essen entspricht?
  • Oder habe ich vielmehr das Gefühl, die Nachfolge antreten zu müssen, weil es von mir erwartet wird, ich es schon als Kind wollte und mir das so erzählt wurde oder ich es den Eltern bzw. den voran­ge­gan­genen Genera­tionen schulde? 
  • Will ich dadurch (endlich) von meinen Eltern gesehen werden? 
  • Was passiert, wenn ich es nicht mache?

Das Spezielle an Famili­en­un­ter­nehmen ist ja, dass sich das System “Familie” und das System “Unter­nehmen” vermi­schen. Was gibt es dabei Wichtiges zu berück­sich­tigen, gerade wenn irgendwann die Frage der Nachfolge im Raum steht?

Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass man in diesem Prozess von allen Seiten her möglichst ehrlich bleibt und im Sinne des Unter­nehmens, der Familie und der Nachfolger:innen Entschei­dungen trifft. Es gilt ein klares Anfor­de­rungs­profil für den Nachfolger oder die Nachfol­gerin zu definieren und dieses objektiv zu prüfen. 

Geht es um den Job und die unter­neh­me­ri­schen Themen, die meinen Inter­essen und Fähig­keiten entsprechen oder geht es mehr um familiäre Themen wie Liebe, Loyalität, Verant­wortung, Macht, Konkurrenz und darum, Erwar­tungen zu erfüllen?

Ladina Schmidt, Psycho­login, Organi­sa­tions- und Laufbahnberaterin

Bei den Nachfolgern:innen stellt sich die Frage der Motivation, der Kompe­tenzen und Inter­essen. Es ist aus meiner Sicht sehr hilfreich, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein und sich zu fragen, was mich dazu führt, mich für die Nachfolge zu inter­es­sieren. Geht es um den Job und die unter­neh­me­ri­schen Themen, die meinen Inter­essen und Fähig­keiten entsprechen oder geht es mehr um familiäre Themen wie Liebe, Loyalität, Verant­wortung, Macht, Konkurrenz und darum, Erwar­tungen zu erfüllen?

Sie haben die Währung “Liebe” angesprochen. Sich als Sohn oder Tochter mit der Frage der Nachfolge zu beschäf­tigen, eröffnet ja auch vor diesem Hinter­grund ein Spannungsfeld. Wie findet ein Unter­neh­merkind objektiv heraus, was es wirklich will?

Das Unter­neh­merkind muss dies nicht objektiv heraus­finden, im Gegenteil. Es geht vielmehr darum, diese Fragen subjektiv, also für sich ganz persönlich zu klären: 

  • Wer bin ich? 
  • Was will ich? 
  • Was macht mir Freude? 
  • Was kann ich gut? 
  • Was treibt mich an? 
  • Wo will ich hin?

Diese Fragen für sich zu reflek­tieren, erachte ich als sehr wichtig. Oft ist es hilfreich, diese Fragen im Rahmen einer Beratung oder eines Coachings zu beant­worten. Es bedarf einer gewissen Unabhän­gigkeit und Eigen­stän­digkeit, ehrlich zu sich und anderen zu sein und mutig den eigenen Weg zu gehen.

Diesen Mut braucht es unabhängig des Entscheides “Nachfolge ja oder nein”: Wenn ich mich für die Nachfolge entscheide, so braucht es Stand­fe­stigkeit, das Unter­nehmen auf meine eigene Art und Weise zu führen und weiter­zu­ent­wickeln. Wenn ich mich gegen die Nachfolge entscheide, so braucht dies ebenfalls einen guten Boden, selbst­be­wusst sich selber treu zu bleiben und seine Ziele zu verfolgen. Somit ist dieser Prozess der Stand­ort­be­stimmung und Selbst­re­flexion eine gute Vorbe­reitung auf das, was kommt.

Es gilt ausein­an­der­zu­halten, was die Familie braucht, damit sie funktio­niert und was die Unter­nehmung fordert, um zu überleben und sich weiter­zu­ent­wickeln.

Ladina Schmidt, Psycho­login, Organi­sa­tions- und Laufbahnberaterin

Was, wenn Geschwister dasselbe wollen – nämlich die Nachfolge antreten. Was gibt es in einer solchen Situation zu berücksichtigen?

Wenn Geschwister die Firma übernehmen wollen, stehen verschiedene Fragen im Zentrum: 

  • Wie sind die Bezie­hungen unter den Geschwistern?
  • Können sich alle eine Zusam­men­arbeit vorstellen? 
  • Wie muss diese ausge­staltet sein? 
  • Macht es für das Unter­nehmen Sinn? 
  • Haben die Geschwister unter­schied­liche Inter­essen und Fähigkeiten? 
  • Sieht sich die eine Tochter als CEO, CFO oder in der Produkt­ent­wicklung und die andere in einer ergän­zenden Funktion?

Ich kenne ein Unter­nehmen, da funktio­niert die Zusam­men­arbeit sehr gut. Die eine Tochter hat die Geschäfts­führung übernommen und die andere Tochter arbeitet als Mitar­bei­terin mit. Die beiden Schwe­stern haben ein sehr gutes Verhältnis, sie vertrauen sich gegen­seitig, unter­stützen sich und die Verant­wort­lich­keiten sind klar geregelt. Ich denke, dies sind wichtige Voraus­set­zungen fürs Gelingen.

Bei Famili­en­un­ter­nehmen gibt es ja eine familiäre Perspektive und eine unter­neh­me­rische Perspektive. Wie kommt man zu einer objek­tiven Ausle­ge­ordnung, die für alle eine gute Entschei­dungs­grundlage ist?

Es wird in der Literatur immer wieder betont, dass es bei Entschei­dungen sehr wichtig ist, die Systeme separat zu betrachten. Es gilt ausein­an­der­zu­halten, was die Familie braucht, damit sie funktio­niert und was die Unter­nehmung fordert, um zu überleben und sich weiter­zu­ent­wickeln. Gleich­zeitig hilft es, wenn es trotz unter­schied­lichen Perspek­tiven etwas Verbin­dendes gibt, hinter dem alle stehen können, z.B. gemeinsame Werte, eine gemeinsame Vision, das Bild des grossen Ganzen. Um dies zu entwickeln und zu erhalten, braucht es eine gewisse Verbun­denheit, Vertrauen, Ehrlichkeit und Transparenz.

Ist dies gegeben, können auch Entscheide von allen besser nachvoll­zogen werden und es ist klar, dass das Unter­neh­merkind als Nachfolger:in gewählt wird, weil er oder sie dem Anfor­de­rungs­profil entspricht, welches es als Geschäftsführer:in braucht und nicht, weil er oder sie das Kind ist.

Für die Entwicklung der Persön­lichkeit ist es wichtig, sich eigen­ständig und unabhängig entwickeln zu dürfen und den eigenen Weg gehen zu können. Dies kommt mittel- bis langfristig auch dem Unter­nehmen zugute.

Ladina Schmidt, Psycho­login, Organi­sa­tions- und Laufbahnberaterin

Und wie erarbeitet sich eine Unter­neh­mer­fa­milie und ein Famili­en­un­ter­nehmen eine solche Grundlage, wenn man selbst unter­neh­me­risch und emotional invol­viert ist?

Tragfähige Bezie­hungen sind das A und O in funktio­nie­renden sozialen Systemen. Es ist wichtig, in der Familie sowie im Unter­nehmen eine konstruktive Kommu­ni­kation und Konflikt­fä­higkeit zu fördern. Unter­schied­liche Meinungen und Einstel­lungen sollen erlaubt sein. Für die Entwicklung der Persön­lichkeit ist es wichtig, sich eigen­ständig und unabhängig entwickeln zu dürfen und den eigenen Weg gehen zu können. Dies kommt mittel- bis langfristig auch dem Unter­nehmen zugute.

Dies alles kann in der Unter­neh­mer­fa­milie von klein auf gefördert und unter­stützt werden. Zusam­men­fassend sind dabei folgende Punkte hilfreich zu beachten:

  • Kommu­ni­ka­tions- und Konflikt­fä­higkeit fördern
  • Eigen­ständige Entwicklung der Nachfolger:innen unterstützen
  • Verschiedene Sicht­weisen und Werthal­tungen akzeptieren
  • In Szenarien denken. Es gibt nicht nur (m)eine Lösung!

Weiter ist es wichtig, den Nachfolger:innen Platz zu machen und ihnen die Perspektive zu geben, sich und das Unter­nehmen unabhängig von der abgebenden Generation weiter­ent­wickeln zu können. Das bedeutet, dass die abgebende Generation sich allen­falls eine neue Aufgabe und Heraus­for­derung suchen muss. Dies ist verständ­li­cher­weise nicht einfach, doch ein wichtiger Teil eines erfolg­reichen Übergabeprozesses.

Der Gedanke an eine mögliche Nachfolge kann auch die Berufswahl beein­flussen. Was raten Sie einem Unter­neh­merkind, wenn es um Entscheide geht rund um die beruf­liche Laufbahn und die persön­liche Entwicklung?

Mit Ratschlägen halte ich mich grund­sätzlich zurück, denn ich bin überzeugt, dass jeder und jede für sich heraus­finden muss, was er oder sie möchte. Sehr gerne biete ich jedoch den Rahmen für Reflexion während der Entscheid­findung. Sodass die Person für sich entscheiden kann, was für sie passt. 

Um beruf­liche Entscheide zu fällen, hilft es, wie bereits gesagt, sich selber gut zu kennen: Wer bin ich? Was macht mich aus? Wo möchte ich hin? Wie gelingt mir die Umsetzung meiner Träume und Visionen? 

In der Beratung unter­stütze ich Menschen, sich klar zu werden, welche Inter­essen und Motive sie leiten, auf welche Fähig­keiten und Kompe­tenzen sie zurück­greifen können, welche Lebens­themen sie beein­flussen, welche Ressourcen sie unter­stützen und welchen Visionen sie Raum und Zeit schenken wollen. 

Im Rahmen der Beratungen braucht es manchmal auch Zwischen­schritte, um dann zu einem Entscheid zu kommen. Solche Schritte können zum Beispiel sein:

  • Verschiedene beruf­liche Optionen ausprobieren
  • Eigene Vorstel­lungen und Visionen trans­parent machen, bevor man entscheidet
  • Kompe­tenzen und Verant­wort­lich­keiten während der Übergangszeit klären 
  • Ansprechen, was die Eltern nach der Übergabe für Pläne und Visionen haben
  • Eine Abmachung treffen, wie die Zusam­men­arbeit mit Eltern und Geschwi­stern nach der Übernahme gestaltet wird

Sie beobachten, dass sich heute die junge Generation oft nicht schon mit 30 Jahren festlegen möchte, ob sie ins Famili­en­un­ter­nehmen einsteigen möchte oder nicht. Was bedeutet das für den Entschei­dungs­prozess des Unter­neh­mer­kindes einer­seits und anderer­seits des Famili­en­un­ter­nehmens in Form der überge­benden Generation?

In einem ersten Schritt gilt es meines Erachtens, die poten­zi­ellen Nachfolger:innen darin zu bestärken, für sich zu klären, weshalb sie zögern. Wollen sie noch nicht jetzt so viel Verant­wortung übernehmen? Oder haben sie generell Bedenken? Sehen sie für sich grund­sätzlich andere Möglich­keiten? Trauen sie es sich nicht zu? Wollen sie sich zuerst noch in anderen Unter­nehmen bewähren und beweisen? Zieht es sie ins Ausland? Wollen sie nicht mit den Eltern im gleichen Betrieb arbeiten? Was brauchen sie, damit sie sich entscheiden können?

Wenn Zweifel da sind und Kinder zögern, ist es wichtig zu verstehen, worum es dabei geht — stehen generelle Bedenken im Raum oder geht es um andere Faktoren.

Ladina Schmidt, Psycho­login, Organi­sa­tions- und Laufbahnberaterin

Erst wenn sie selbst wissen, worum es ihnen geht, können sie den nächsten Schritt tun. Weiter ist es wichtig, diese Themen im Gespräch mit den Eltern oder der Familie aufzu­nehmen und zu schauen, was es für Szenarien gibt. 

Welche Szenarien sind denkbar auf dem Weg zur Nachfolge?

Szenarien sind immer abhängig von den Rahmen­be­din­gungen. Es gibt keine Patent­lösung, immer wieder aber gibt es auch erstaunlich “neue” Möglich­keiten, wenn man es wagt, mal neu und offen zu denken. Es gibt nie nur das eine — das eigene — Szenario.

Welche Empfeh­lungen möchten Sie einem Unter­neh­merkind und auch den Eltern auf den Weg mitgeben, wenn es darum geht, die Zukunft der Firma – in welcher Form auch immer – zu gestalten?

Ich empfehle allen, frühzeitig ins Gespräch zu kommen. Sich ehrlich und trans­parent auszu­tau­schen, die eigenen Vorstel­lungen, Wünsche und Ideen zu äussern. Dabei gilt es auch unter­schied­liche Inter­essen und Sicht­weisen zu akzep­tieren. Wichtig ist aber, gemeinsam Szenarien und mögliche Lösungen zu entwickeln und dabei immer im Hinterkopf zu behalten: es gibt nicht nur eine einzige richtige Lösung. Es ist wichtig, in Szenarien zu denken. Die sich übrigens auch über die Zeit hinweg verändern können.

Mehr zum Thema

Auf unserer Plattform finden Sie weiter­füh­rende Unter­lagen rund um das Thema Nachfol­ge­prozess. Unter anderem empfehlen wir Ihnen folgende Beiträge.

Im Download-Center stellen wir Ihnen diverse Unter­lagen und Arbeits­blätter kostenlos zur Verfügung.

ÜBER LADINA SCHMIDT BONER

Ladina Schmidt Boner unter­stützt als Psycho­login, Organi­sa­tions- und Laufbahn­be­ra­terin Menschen und Unter­nehmen, sich nach ihren Kompe­tenzen, Inter­essen, Werten und Ressourcen auszu­richten und sich so weiter­zu­ent­wickeln, dass es für sie mittel- und langfristig zufrie­den­stellend, gesund und gewinn­bringend ist. Mehr über Ladina Schmidt.

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Monika Waldburger

Monika Waldburger ist in einem Familienunternehmen aufgewachsen, kennt die Welt der KMU und weiss, wie komplex und vielfältig ein Nachfolgeprozess sein kann. Sie ist Master Coach und Kommunikationsexpertin. Als Sparringpartnerin begleitet und berät sie Menschen, Teams und KMU bei Erkenntnis-, Veränderungs- und Transformationsprozessen.

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