Blog 40: Autonomie als Chance für die Nachfolge — die wichtigsten drei Empfehlungen

Damit eine Nachfolge gelingt, ist Autonomie zentral — ganz besonders in Famili­en­un­ter­nehmen. Autonomie zu entwickeln, zu etablieren und zu leben, bedeutet ein bewusstes Arbeiten an Rollen und Verhal­tens­mu­stern. Wir zeigen auf, auf welchen drei Ebenen Autonomie zentral ist und weshalb es wichtig ist, dem Thema im Kontext der Nachfolge Aufmerk­samkeit zu schenken.

Autonomie bedeutet Eigen­stän­digkeit und schliesst Eigen­ver­ant­wortung mit ein. Es ist Selbst­be­stimmung, die im eigenen und freien Willen gründet. Bei der Nachfolge innerhalb eines Famili­en­un­ter­nehmens ist es entscheidend, dass sich Autonomie auf den folgenden drei Ebenen entwickeln und etablieren kann:

  • Autonomie der überneh­menden Generation und zwischen den Generationen
  • Autonomie innerhalb der überneh­menden Generation
  • Autonomie im Hinblick auf die Unternehmensentwicklung

Bei Famili­en­un­ter­nehmen ist das Entwickeln und Etablieren von Autonomie eine besondere Heraus­for­derung. Das hat damit zu tun, dass Famili­en­un­ter­nehmen zwei Sozial­sy­steme vereinen, die unter­schiedlich ticken: die Familie einer­seits, das Unter­nehmen andererseits. 

Die beiden Sozial­sy­steme haben unter­schied­liche Zielset­zungen, sind geprägt von unter­schied­lichen Logiken und damit auch von unter­schied­lichen Erwar­tungs­hal­tungen. Bei einem Famili­en­un­ter­nehmen beein­flussen sich die beiden Sozial­sy­steme und Logiken wechsel­seitig. Das erhöht die Komple­xität und nicht selten auch das Konflikt­po­tenzial. Je unklarer die Rollen- und Funkti­ons­ver­tei­lungen innerhalb der Familie und des Unter­nehmens sind, desto grösser sind die Unsicher­heiten und desto vielschich­tiger sind die Konfliktpotenziale.

Autonomie der übernehmenden Generation und klare Rollen

Rollen und Muster, die sich innerhalb der Familie über die Jahre hinweg etabliert haben, oft intuitiv und unbewusst, können zu Stolper­steinen werden bei der Nachfolge im Unter­neh­mens­kontext und bieten viel Konflikt­po­tenzial. Wenn das Famili­en­un­ter­nehmen von der einen zur nächsten Generation übergeben wird, ist es zentral, seine Rolle(n) zu kennen und sich ihrer bewusst zu sein. Es geht dabei um die Fragen, wann trage ich welchen Hut und wann spreche ich in welcher Rolle. Hüte gibt es viele, zum Beispiel jener des Vaters, der Mutter, der Inhaberin, des Teilhabers, des Gründers, der Verwal­tungs­rätin, des Geschäfts­führers, der Tochter, des Sohnes, der Expertin auf einem Fachgebiet, des Team-Leiters, um nur einige Beispiele zu nennen.

Nehmen wir das Beispiel einer Tochter und eines Sohnes, ein Geschwi­sterpaar, das seit einigen Jahren in der Firma arbeitet und sich nun anschickt, die Firma vom Vater zu übernehmen. In einem ersten Schritt steht der Prozess der Führungs­nach­folge an. Die beiden wollen innert einer bestimmten Zeit den Vater in seiner opera­tiven Rolle als Chef der Firma ablösen. 

In dieser Konstel­lation braucht es das Bewusstsein aller, dass im Firmen­kontext die Tochter in der Funktion auftritt, die sie innerhalb der Firma wahrnimmt (und nicht den Hut der Tochter trägt). Das gleiche gilt für Vater und Bruder. Arbeiten Genera­tionen zusammen, bedeutet das, dass Rollen und Verhal­tens­muster, die über viele Jahre hinweg in verschie­denen Kontexten eingeübt worden sind, nun aktiv und bewusst verändert und angemessen und neu aufge­setzt werden müssen. Dieser Prozess betrifft sowohl die überge­bende wie auch die überneh­mende Generation und kann eine grosse Heraus­for­derung sein. Mit dieser Neuauf­setzung von Rollen und Verhal­tens­mu­stern geht auch einher, dass die überneh­mende Generation sich von den Eltern emanzi­piert, Autonomie entwickelt und sich nicht nach einem Eltern-Kind-Muster verhält.

Die Kraft der Logiken

Zentral sind bei diesem Prozess die Logiken. Sie müssen sichtbar gemacht und verstanden werden. Wenn kein Bewusstsein existiert, ob eine Situation von der Familien- oder von der Unter­neh­mens­logik geprägt ist, bietet das Potenzial für Missver­ständ­nisse und Konflikte. Nicht selten kommt es vor, dass in bestimmten Situa­tionen die überge­bende Generation intuitiv nach der Famili­en­logik agiert (in der Rolle als Eltern), die überneh­mende Generation sich aber ganz selbst­ver­ständlich nach einer Unter­neh­mens­logik verhält (mit der Fachex­pertise, die sie als Berufs­men­schen mitbringen). Agieren die beiden Seiten nach unter­schied­lichen Logiken und wird das nicht erkannt, können Konflikte und Missver­ständ­nisse viel Zeit und Energie wegfressen und im schlimmsten Fall sogar die Nachfolge gefährden.

Diese Logiken, Rollen und Verhal­tens­muster zu erkennen und zuzuordnen, ist anspruchsvoll und gelingt in vielen Fällen nicht ohne einen externen Sparring­partner oder eine externe Prozess­be­glei­terin. Der Grund dafür ist, dass es um impli­zites Wissen und intui­tives Verhalten geht, das ganz selbst­ver­ständlich entstanden ist durch das Aufwachsen innerhalb der Familie als ältere Schwester oder jüngerer Bruder und als Kinder der Eltern.

Es macht einen Unter­schied, ob sich die überneh­mende Generation gegenüber dem Vater und Allein­ak­tionär als “Kids” bezeichnet oder als “NextGen”, wenn es darum geht, geschäft­liche Belange als gleich­be­rech­tigte Partner zu diskutieren.

Claudia Buchmann, Nachfol­ge­ex­pertin St. Galler Nachfolge

Damit sich die überneh­mende und die überge­bende Generation beim Prozess der Nachfolge autonom und auf Augenhöhe begegnen können, muss diese Asymmetrie ausge­glichen werden. Nur so können die Parteien gleich­wertig und gleich­be­rechtigt mitein­ander disku­tieren und sich mit den persön­lichen Meinungen und Erwar­tungen einbringen. In aller Regel muss die überneh­mende Generation ihre Autonomie bewusst entwickeln und die überge­bende Generation muss den Raum dafür schaffen. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der Zeit benötigt und bewusst trainiert werden muss, bis sich die neuen Verhal­tens­muster etabliert haben.

Autonomie innerhalb der übernehmenden Generation

Genauso relevant wie die Autonomie zwischen den Genera­tionen ist die Autonomie innerhalb der überneh­menden Generation. Unter Geschwi­stern etablieren sich ebenso Rollen und Verhal­tens­muster wie im Verhältnis der Kinder zu den Eltern. 

Damit Geschwi­ster­kinder sich unabhängig vonein­ander als gleich­be­rech­tigte Personen einbringen können, ist es wichtig, dass in diesem geschäft­lichen Kontext die Geschichten aus der Kindheit und die damit verbun­denen Prägungen oder Stempel abgelegt werden können. Es braucht einen frischen und offenen Blick auf den Menschen von heute, um die Quali­täten und Talente zu erkennen. Der “Träumer” von früher präsen­tiert sich heute vielleicht als kreativ und sprachlich gewandt und seine Inputs sollten auch genau vor diesem Hinter­grund wahrge­nommen werden.

Die Frage “Was will ich?” muss jedes Famili­en­mit­glied autonom für sich beant­worten — ohne emotionale Abhän­gigkeit. Man soll sich gut fühlen, auch dann, wenn man unter­schied­liche Bedürf­nisse hat.

Claudia Buchmann, Nachfol­ge­ex­pertin St. Galler Nachfolge

Autonomie innerhalb der überneh­menden Generation (“NextGen”) ist auch zentral, wenn es um die Frage geht “Was will ich eigentlich?”. Alle, die in den Nachfol­ge­prozess invol­viert sind, sollten die eigenen Erwar­tungen, Wünsche und Bedürf­nisse kennen. Die Antwort auf die Frage “Was will ich?” muss autonom beant­wortet werden — was innerhalb einer Familie manchmal gar nicht so einfach ist.

Angenommen, beide Nachkommen möchten Teil der Führungs­nach­folge sein, also operativ Verant­wortung übernehmen, doch nur eine Person von beiden möchte sich bei der Eigen­tums­nach­folge invol­vieren. Wie kann das mitein­ander besprochen werden, ohne dass Schuld­ge­fühle entstehen oder die Angst aufkommt, vom Vater nun weniger geliebt zu werden oder so dazustehen, als würde man den Bruder oder die Schwester im Stich lassen? 

Das Entwickeln von Autonomie innerhalb der überneh­menden Generation ist ebenfalls ein Prozess, der Zeit braucht. Er ist intensiv und spannend zugleich und ermög­licht Erkennt­nisse über sich selber, die anderen Famili­en­mit­glieder und über die Familie als Sozialsystem.

Autonomie bei der Unternehmensentwicklung

Der dritte Bereich, der sich mit Autonomie frucht­barer entwickelt, ist der Bereich der Unter­neh­mens­ent­wicklung. Wie gelingt es, dass die überneh­mende Generation neue Perspek­tiven und Ideen einbringen kann? Wie erhalten sie Spielraum, diese zu reali­sieren und eigene Erfah­rungen zu sammeln? Wie können Sie echte Verant­wortung dafür übernehmen?

Am Tisch, an dem die Themen rund um die Nachfolge besprochen werden, muss sich jede Person gleich­wertig einbringen dürfen — jeder und jede wird angehört und mit seinen Ansichten ernst genommen.

Claudia Buchmann, Nachfol­ge­ex­pertin St. Galler Nachfolge

Die überneh­mende Generation hat meist Ideen, wie das Unter­nehmen weiter­ent­wickelt werden kann und wie sie dort ihre eigenen Fähig­keiten gewinn­bringend einbringen können. Wenn dafür kein Raum geschaffen wird, geht eine Firma zwei Risiken ein: sie verschenkt mögli­cher­weise starke Ideen, die für die Zukunft der Firma wichtig sind und setzt damit Chancen und Potenzial in den Sand. Und sie zermürbt die nachfol­gende Generation, weil sie sich nicht entfalten kann, ohne den Raum gehört und ernst genommen zu werden.

Fazit

Dem Thema Autonomie kommt bei der Nachfolge hohe Wichtigkeit zu, insbe­sondere bei Famili­en­un­ter­nehmen. Mit einer externen Fachperson als Sparringpartner:in, der oder die fachlich und metho­disch ausge­bildet ist, gelingt es einfacher, implizite Verhal­tens­muster und Logiken sichtbar und bewusst zu machen. Diese Klarheit ist die Grundlage, um bewusst an Rollen, Logiken und Verhal­tens­mu­stern zu arbeiten und sie so aufzu­setzen, dass sich alle gleich­be­rechtigt und gleich­wertig begegnen und Diskus­sionen auf Augenhöhe geführt werden können. Auotomie zu entwickeln, umzusetzen und zu leben, ist ein Prozess und braucht Zeit.

Familien, die offen und rollenklar über Erwar­tungen, Wünsche, Befürch­tungen und Ängste sowie Ideen sprechen könne, die jedes Mitglied autonom äussern darf, schaffen ein starkes Fundament für eine Nachfolge, die sich gut, richtig und fair anfühlt und die Bestand hat.

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Monika Waldburger

Monika Waldburger ist in einem Familienunternehmen aufgewachsen, kennt die Welt der KMU und weiss, wie komplex und vielfältig ein Nachfolgeprozess sein kann. Sie ist Master Coach und Kommunikationsexpertin. Als Sparringpartnerin begleitet und berät sie Menschen, Teams und KMU bei Erkenntnis-, Veränderungs- und Transformationsprozessen.

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