Damit eine Nachfolge gelingt, ist Autonomie zentral — ganz besonders in Familienunternehmen. Autonomie zu entwickeln, zu etablieren und zu leben, bedeutet ein bewusstes Arbeiten an Rollen und Verhaltensmustern. Wir zeigen auf, auf welchen drei Ebenen Autonomie zentral ist und weshalb es wichtig ist, dem Thema im Kontext der Nachfolge Aufmerksamkeit zu schenken.
Autonomie bedeutet Eigenständigkeit und schliesst Eigenverantwortung mit ein. Es ist Selbstbestimmung, die im eigenen und freien Willen gründet. Bei der Nachfolge innerhalb eines Familienunternehmens ist es entscheidend, dass sich Autonomie auf den folgenden drei Ebenen entwickeln und etablieren kann:
- Autonomie der übernehmenden Generation und zwischen den Generationen
- Autonomie innerhalb der übernehmenden Generation
- Autonomie im Hinblick auf die Unternehmensentwicklung
Bei Familienunternehmen ist das Entwickeln und Etablieren von Autonomie eine besondere Herausforderung. Das hat damit zu tun, dass Familienunternehmen zwei Sozialsysteme vereinen, die unterschiedlich ticken: die Familie einerseits, das Unternehmen andererseits.
Die beiden Sozialsysteme haben unterschiedliche Zielsetzungen, sind geprägt von unterschiedlichen Logiken und damit auch von unterschiedlichen Erwartungshaltungen. Bei einem Familienunternehmen beeinflussen sich die beiden Sozialsysteme und Logiken wechselseitig. Das erhöht die Komplexität und nicht selten auch das Konfliktpotenzial. Je unklarer die Rollen- und Funktionsverteilungen innerhalb der Familie und des Unternehmens sind, desto grösser sind die Unsicherheiten und desto vielschichtiger sind die Konfliktpotenziale.
Autonomie der übernehmenden Generation und klare Rollen
Rollen und Muster, die sich innerhalb der Familie über die Jahre hinweg etabliert haben, oft intuitiv und unbewusst, können zu Stolpersteinen werden bei der Nachfolge im Unternehmenskontext und bieten viel Konfliktpotenzial. Wenn das Familienunternehmen von der einen zur nächsten Generation übergeben wird, ist es zentral, seine Rolle(n) zu kennen und sich ihrer bewusst zu sein. Es geht dabei um die Fragen, wann trage ich welchen Hut und wann spreche ich in welcher Rolle. Hüte gibt es viele, zum Beispiel jener des Vaters, der Mutter, der Inhaberin, des Teilhabers, des Gründers, der Verwaltungsrätin, des Geschäftsführers, der Tochter, des Sohnes, der Expertin auf einem Fachgebiet, des Team-Leiters, um nur einige Beispiele zu nennen.
Nehmen wir das Beispiel einer Tochter und eines Sohnes, ein Geschwisterpaar, das seit einigen Jahren in der Firma arbeitet und sich nun anschickt, die Firma vom Vater zu übernehmen. In einem ersten Schritt steht der Prozess der Führungsnachfolge an. Die beiden wollen innert einer bestimmten Zeit den Vater in seiner operativen Rolle als Chef der Firma ablösen.
In dieser Konstellation braucht es das Bewusstsein aller, dass im Firmenkontext die Tochter in der Funktion auftritt, die sie innerhalb der Firma wahrnimmt (und nicht den Hut der Tochter trägt). Das gleiche gilt für Vater und Bruder. Arbeiten Generationen zusammen, bedeutet das, dass Rollen und Verhaltensmuster, die über viele Jahre hinweg in verschiedenen Kontexten eingeübt worden sind, nun aktiv und bewusst verändert und angemessen und neu aufgesetzt werden müssen. Dieser Prozess betrifft sowohl die übergebende wie auch die übernehmende Generation und kann eine grosse Herausforderung sein. Mit dieser Neuaufsetzung von Rollen und Verhaltensmustern geht auch einher, dass die übernehmende Generation sich von den Eltern emanzipiert, Autonomie entwickelt und sich nicht nach einem Eltern-Kind-Muster verhält.
Die Kraft der Logiken
Zentral sind bei diesem Prozess die Logiken. Sie müssen sichtbar gemacht und verstanden werden. Wenn kein Bewusstsein existiert, ob eine Situation von der Familien- oder von der Unternehmenslogik geprägt ist, bietet das Potenzial für Missverständnisse und Konflikte. Nicht selten kommt es vor, dass in bestimmten Situationen die übergebende Generation intuitiv nach der Familienlogik agiert (in der Rolle als Eltern), die übernehmende Generation sich aber ganz selbstverständlich nach einer Unternehmenslogik verhält (mit der Fachexpertise, die sie als Berufsmenschen mitbringen). Agieren die beiden Seiten nach unterschiedlichen Logiken und wird das nicht erkannt, können Konflikte und Missverständnisse viel Zeit und Energie wegfressen und im schlimmsten Fall sogar die Nachfolge gefährden.
Diese Logiken, Rollen und Verhaltensmuster zu erkennen und zuzuordnen, ist anspruchsvoll und gelingt in vielen Fällen nicht ohne einen externen Sparringpartner oder eine externe Prozessbegleiterin. Der Grund dafür ist, dass es um implizites Wissen und intuitives Verhalten geht, das ganz selbstverständlich entstanden ist durch das Aufwachsen innerhalb der Familie als ältere Schwester oder jüngerer Bruder und als Kinder der Eltern.
Es macht einen Unterschied, ob sich die übernehmende Generation gegenüber dem Vater und Alleinaktionär als “Kids” bezeichnet oder als “NextGen”, wenn es darum geht, geschäftliche Belange als gleichberechtigte Partner zu diskutieren.
Claudia Buchmann, Nachfolgeexpertin St. Galler Nachfolge
Damit sich die übernehmende und die übergebende Generation beim Prozess der Nachfolge autonom und auf Augenhöhe begegnen können, muss diese Asymmetrie ausgeglichen werden. Nur so können die Parteien gleichwertig und gleichberechtigt miteinander diskutieren und sich mit den persönlichen Meinungen und Erwartungen einbringen. In aller Regel muss die übernehmende Generation ihre Autonomie bewusst entwickeln und die übergebende Generation muss den Raum dafür schaffen. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der Zeit benötigt und bewusst trainiert werden muss, bis sich die neuen Verhaltensmuster etabliert haben.
Autonomie innerhalb der übernehmenden Generation
Genauso relevant wie die Autonomie zwischen den Generationen ist die Autonomie innerhalb der übernehmenden Generation. Unter Geschwistern etablieren sich ebenso Rollen und Verhaltensmuster wie im Verhältnis der Kinder zu den Eltern.
Damit Geschwisterkinder sich unabhängig voneinander als gleichberechtigte Personen einbringen können, ist es wichtig, dass in diesem geschäftlichen Kontext die Geschichten aus der Kindheit und die damit verbundenen Prägungen oder Stempel abgelegt werden können. Es braucht einen frischen und offenen Blick auf den Menschen von heute, um die Qualitäten und Talente zu erkennen. Der “Träumer” von früher präsentiert sich heute vielleicht als kreativ und sprachlich gewandt und seine Inputs sollten auch genau vor diesem Hintergrund wahrgenommen werden.
Die Frage “Was will ich?” muss jedes Familienmitglied autonom für sich beantworten — ohne emotionale Abhängigkeit. Man soll sich gut fühlen, auch dann, wenn man unterschiedliche Bedürfnisse hat.
Claudia Buchmann, Nachfolgeexpertin St. Galler Nachfolge
Autonomie innerhalb der übernehmenden Generation (“NextGen”) ist auch zentral, wenn es um die Frage geht “Was will ich eigentlich?”. Alle, die in den Nachfolgeprozess involviert sind, sollten die eigenen Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse kennen. Die Antwort auf die Frage “Was will ich?” muss autonom beantwortet werden — was innerhalb einer Familie manchmal gar nicht so einfach ist.
Angenommen, beide Nachkommen möchten Teil der Führungsnachfolge sein, also operativ Verantwortung übernehmen, doch nur eine Person von beiden möchte sich bei der Eigentumsnachfolge involvieren. Wie kann das miteinander besprochen werden, ohne dass Schuldgefühle entstehen oder die Angst aufkommt, vom Vater nun weniger geliebt zu werden oder so dazustehen, als würde man den Bruder oder die Schwester im Stich lassen?
Das Entwickeln von Autonomie innerhalb der übernehmenden Generation ist ebenfalls ein Prozess, der Zeit braucht. Er ist intensiv und spannend zugleich und ermöglicht Erkenntnisse über sich selber, die anderen Familienmitglieder und über die Familie als Sozialsystem.
Autonomie bei der Unternehmensentwicklung
Der dritte Bereich, der sich mit Autonomie fruchtbarer entwickelt, ist der Bereich der Unternehmensentwicklung. Wie gelingt es, dass die übernehmende Generation neue Perspektiven und Ideen einbringen kann? Wie erhalten sie Spielraum, diese zu realisieren und eigene Erfahrungen zu sammeln? Wie können Sie echte Verantwortung dafür übernehmen?
Am Tisch, an dem die Themen rund um die Nachfolge besprochen werden, muss sich jede Person gleichwertig einbringen dürfen — jeder und jede wird angehört und mit seinen Ansichten ernst genommen.
Claudia Buchmann, Nachfolgeexpertin St. Galler Nachfolge
Die übernehmende Generation hat meist Ideen, wie das Unternehmen weiterentwickelt werden kann und wie sie dort ihre eigenen Fähigkeiten gewinnbringend einbringen können. Wenn dafür kein Raum geschaffen wird, geht eine Firma zwei Risiken ein: sie verschenkt möglicherweise starke Ideen, die für die Zukunft der Firma wichtig sind und setzt damit Chancen und Potenzial in den Sand. Und sie zermürbt die nachfolgende Generation, weil sie sich nicht entfalten kann, ohne den Raum gehört und ernst genommen zu werden.
Fazit
Dem Thema Autonomie kommt bei der Nachfolge hohe Wichtigkeit zu, insbesondere bei Familienunternehmen. Mit einer externen Fachperson als Sparringpartner:in, der oder die fachlich und methodisch ausgebildet ist, gelingt es einfacher, implizite Verhaltensmuster und Logiken sichtbar und bewusst zu machen. Diese Klarheit ist die Grundlage, um bewusst an Rollen, Logiken und Verhaltensmustern zu arbeiten und sie so aufzusetzen, dass sich alle gleichberechtigt und gleichwertig begegnen und Diskussionen auf Augenhöhe geführt werden können. Auotomie zu entwickeln, umzusetzen und zu leben, ist ein Prozess und braucht Zeit.
Familien, die offen und rollenklar über Erwartungen, Wünsche, Befürchtungen und Ängste sowie Ideen sprechen könne, die jedes Mitglied autonom äussern darf, schaffen ein starkes Fundament für eine Nachfolge, die sich gut, richtig und fair anfühlt und die Bestand hat.
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- Als Tochter die Nachfolge antreten — Fabienne Schaub im Gespräch
- Als Sohn die Nachfolge antreten — Michael Müller im Gespräch
- Blog 31: Wie Unternehmerkinder gute Antworten finden
- Blog 20: Weshalb die Hüte bei der Führungsnachfolge so wichtig sind
- Dossier: KMU Führungsnachfolge (Schrift Nr. 11)
- Lisa Benz im Gespräch: Mit Führungsrollen neue Perspektiven eröffnen
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