Wenn zwei Seile miteinander eine starke Verbindung eingehen sollen, dann reicht eine reine Klebestelle dafür nicht aus. Die zwei Seile müssen ineinander verwoben werden. Man nennt dies Spleissen. Ein solches Spleissen braucht es — im übertragenen Sinn — auch bei der Unternehmensnachfolge. Eine einfache Klebestelle schafft keine Stabilität. Es braucht ein Einfädeln und ein Ausfädeln, damit der Generationenwechsel im Rahmen der Führungsnachfolge nachhaltig über die Zeit gestaltet werden kann.
Im Rahmen der Führungsnachfolge stellen wir uns immer wieder die Fragen, was über die Zeit ein gesunder Prozess ist für drei Parteien, um die es bei der Nachfolge geht: für die abtretende, übergebende Generation, für die antretende, übernehmende Generation und für das Unternehmen selbst. Dabei gibt es zwei Beobachtungen, die wir regelmässig machen.
Die erste Beobachtung bezieht sich auf die Generation, welche die Firma übergibt. Immer wieder beobachten wir, dass die abtretende Generation über zwei bis drei Jahrzehnte hinweg in eine Unternehmensgrösse und Führungsbreite hineingewachsen ist, die beeindruckend ist. Es kamen immer mehr Aufgaben hinzu, Märkte und Unternehmenskomplexität wurden über die Zeit grösser, die Veränderungsgeschwindigkeit nahm an Tempo zu. Viele realisieren erst in der Rückschau, in welchem Hamsterrad und Marathon sie unterwegs waren.
Die meisten sind in den letzten Jahren oder Jahrzehnten einen Marathon gelaufen. Sich dann unmittelbar nach dem Zieleinlauf ins Bett zu legen, das ist für ein Individuum ungesund — das wissen wir aus dem Sport. Es braucht ein Auslaufen, einige Dehnübungen — man fährt das System wieder runter.
Die zweite Beobachtung, die wir regelmässig machen: die Anzahl Führungspersonen ist nach einem abgeschlossenen Führungsnachfolge-Prozess grösser, als zum Zeitpunkt, als der Prozess der Nachfolge gestartet wurde. Oft wird im Laufe des Generationenwechsels eine Geschäftsleitung ausgeweitet oder eine zweite Führungsebene eingeführt und aufgebaut.
Es geht dabei auch um die grossen Fusstapfen, in die eine nächste Generation hineinwachsen will oder soll, um über die Zeit dann eine eigene Spur zu hinterlassen. Wenn wir nun auch hier nochmals auf das Bild des Marathons zurückgreifen, können wir sagen: Einen Marathon laufen zu wollen ohne jegliches Training, ist ebenfalls ungesund für das jeweilige Individuum. Es braucht ein Aufbautraining, um einen Marathon ein einem angemessenen Tempo und gesund laufen zu können und das Tempo über die Zeit hinweg zu halten.
Spleiss-Modell in der Praxis
An diesem Punkt setzt unser “Nachfolge-Spleissmodell” an. Inwiefern wir zwischen dem Spleissen und den Voraussetzungen für eine nachhaltig stabile Führungsnachfolge Parallelen sehen, möchte ich an einem Praxisbeispiel aus unserer Beratungstätigkeit erklären.
Es geht dabei um ein KMU, das seit über 20 Jahren von einem Ehepaar verantwortet wird. Während dieser Zeit hat sich das Unternehmen von 10 auf 60 Mitarbeitende entwickelt und ist in zwei Geschäftsfeldern unterwegs. Der Vater verantwortetet seit Jahr und Tag alles, was mit Technik, Kunden und Prozessen zu tun hatte. Die Mutter war für alle Themen rund um Finanzen und Personal zuständig. Wöchentlich haben sich die beiden abgestimmt und lebten damit ihre Form der Geschäftsleitung. Auf dem Papier besetzten sie formal auch die zwei Verwaltungsratssitze. Eine eigentliche Durchführung von Verwaltungsratssitzungen war aber gar nie notwendig.
Für die Führungsnachfolge hatte man das Ziel, dass künftig 2 Töchter und 2 Mitarbeitende gemeinsam die Geschäftsleitung (inkl. Eigentum) übernehmen sollen. Damit diese Führungsnachfolge gelingen konnte, war entscheidend, dass die Veränderung der verschiedenen Rollen sich über die Zeit entwickeln konnte. Über den Zeitraum von fünf Jahren haben wir einen Plan erstellt, indem ersichtlich wurde, wie sich die einzelnen Mitglieder der künftigen Geschäftsleitung in die Rollen und Aufgaben einfädeln und sich die übergebende Generation zunehmend ausfädelt.
Es war ein Verweben und ein Verändern der unterschiedlichen Rollen über die die Zeit hinweg. Als Resultat ist für das Unternehmen eine hohe Stabilität entstanden und Kontinuität konnte sichergestellt werden.
Was die Führungsnachfolge prägt
Wenn wir eine Führungsnachfolge begleiten, machen wir in der Regel regelmässig folgende Beobachtungen:
- Der Verwaltungsrat wird als Gremium zum Leben erweckt und eine neue Routine wird antrainiert.
- Die Führungs-Crew ist in der Regel nach Abschluss der Führungsnachfolge breiter aufgestellt, im Vergleich zur Struktur vor dem Prozess.
- Es braucht Zeit, sich auf neue und sich verändernde Strukturen und Prozesse in der Führung einzulassen.
- Die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten müssen sich über die Zeit verändern und laufend neu ajustiert werden.
- Es braucht aktive Team-Entwicklung, um eine schlagkräftige Führungs-Crew aufzubauen.
Alle diese Prozesse sind dann nachhaltig erfolgreich, wenn die Veränderung kontinuierlich und sorgfältig über die Zeit hinweg stattfinden kann. Wenn man bisherige Aufgabenfelder und Rollenbilder sorgfältig mit neuen Zielbildern, Bedürfnissen und Erwartungen verwebt, kann ein Strick entstehen, der nicht so schnell reisst und die übergebende Generation kann sich entspannt ausfädeln, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Auf unserer Plattform finden Sie weiterführende Unterlagen zum Thema. Unter anderem folgende Beiträge:
- Dossier: KMU Führungsachfolge (Schrift Nr. 11)
- Die Vorteile einer Teamnachfolge (Blog Nr. 38)
- Rollenklärung bei der Führungsnachfolge: weshalb die Hüte so wichtig sind (Blog Nr. 20)
Im Download-Center stellen wir Ihnen diverse Unterlagen und Arbeitsblätter kostenlos zur Verfügung.
Fotonachweis: Shutterstock sowie Encyclopaedia Britannica (www.britannica.com)