Blog 46 | In Szenarien denken: weshalb der Plan B bei der Nachfolge Gold wert ist

Ein Nachfol­ge­prozess ist ein vielschich­tiger Verän­de­rungs­prozess. Auch bei einer umsich­tigen Planung geschieht im Laufe des Prozesses meistens noch irgend­etwas, das so nicht vorge­sehen war. Damit solche Holperer nicht den ganzen Prozess gefährden oder zu grossen Zeitver­zö­ge­rungen führen, braucht es einen Plan B, vielleicht sogar einen Plan C. Wenn wir Nachfol­ge­pro­zesse begleiten, denken und handeln wir immer in Szenarien. Dass wir das “was wäre, wenn…” mit unseren Kundinnen und Kunden thema­ti­sieren und durch­denken, hat sich schon vielfach bewährt. 

Wenn wir die letzten 100 Nachfol­ge­pro­zesse betrachten, die wir begleiten durften, gab es bei jedem zweiten Prozess einen Holperer, der das Potenzial hatte, den Prozess zu stören und das angestrebte Ergebnis zu beein­träch­tigen. Eine Nachfolge verläuft kaum je einfach “geradeaus”. Die Regel ist, dass während dem Prozess neue Wege aufgehen, sich Rahmen­be­din­gungen verändern und auch Umwege genommen werden müssen. Was sich in diesen Momenten bewährt hat: immer in Szenarien zu denken und gewisse Massnahmen für den “Fall der Fälle” vorzu­sehen, um danach handeln zu können, wenn es nötig werden sollte.

Nachfolge braucht Zeit — und je grösser die Zeiträume sind, desto unplan­barer wird die angestrebte Nachfol­ge­lösung. Bedürf­nisse, Erwar­tungen, Vorstel­lungen, wie auch die Wirtschaftslage oder der Unter­neh­mens­erfolg können sich verändern. Was heute als richtig und korrekt beurteilt wird, muss mögli­cher­weise in einem Jahr neu beurteilt oder in Frage gestellt werden. 

Die wichtigsten Nachfol­ge­op­tionen in der Schweizer KMU-Landschaft sind FBO (Famili­en­mit­glieder übernehmen), MBO (bestehende Mitar­bei­tende übernehmen) und MBI (externe Käufer, in der Regel unter­neh­me­rische Persön­lich­keiten, übernehmen) — sie unter­scheiden sich wesentlich im Ablauf und im Zeitrahmen, in dem der Prozess erfolgt (Dauer):

Abb. 01: Durch­schnitt­liche Prozess­dauer je nach Nachfolgeoption

Egal, ob wir FBO, MBO oder MBI begleiten: wir wollen immer einen Plan B. Auch dann, wenn bereits ein Plan entschieden und dieser ausge­sprochen ist, zum Beispiel, dass die Kinder die Führungs- und Eigen­tums­nach­folge antreten werden. 

Nachfolge strategisch planen

Wir gehen mit unserer Empfehlung sogar so weit, dass wir unsere Kundinnen und Kunden auffordern, minde­stens 3, oder besser vier denkbare Nachfol­ge­sze­narien durch­zu­denken und zu formu­lieren und im Anschluss daran einen Entschei­dungsbaum zu definieren, in dem folgende Fragen geklärt sind:

  • Wann muss die Entscheidung erfolgen, dass der angestrebte Weg umgesetzt wird, mit allem, was dazugehört?
  • Wer trifft diese Entscheidung?
  • Was sind die Entschei­dungs­prä­missen (Grund­lagen und Voraus­set­zungen, auf der die Entscheidung getroffen wird)? Entschei­dungs­prä­missen können Regeln, Vorgaben, Werte sein.

Es werden also Meilen­steine definiert, die es einzu­halten gilt und man definiert dazu Bedin­gungen, die für die überge­bende Partei wie auch für die überneh­mende Partei bindend sind. Diese “strate­gische Nachfol­ge­planung” kann wie folgt veran­schau­licht werden:

Abb. 02: Entschei­dungsbaum entlang der Nachfol­ge­op­tionen (strate­gische Nachfolgeplanung)

Beispiel 1: Im Rahmen eines Famili­en­rates wurde in Anwesenheit der gesamten Familie entschieden, dass die Tochter die Führungs- und Eigen­tums­nach­folge antreten darf, wenn sie denn will. Die Entscheidung muss späte­stens bis zum 31.12. im Folgejahr getroffen werden. Die Tochter soll ihren Entscheid schriftlich kommu­ni­ziere. Voraus­setzung und Grundlage für den Entscheid (Entschei­dungs­prä­misse) sind, dass die Tochter in der Zeit bis zum Entscheid ihr Studium abgeschlossen und einen Sprach­auf­enthalt im engli­schen Sprachraum absol­viert hat.

Beispiel 2: Der Vater hält im Rahmen einer Famili­en­be­spre­chung fest, dass er – sofern sich keines der Kinder bis in zwei Jahren für das Unter­nehmen inter­es­siert (sprich: im Unter­nehmen die Arbeit aufnimmt) – das Unter­nehmen extern verkaufen wird.

Entscheidend ist es, dass die Antworten auf die drei Kernfragen von oben, trans­parent sind. Die Antworten können auch diffe­ren­zierter ausfallen, wie in den zwei Beispielen. Als Prozess­be­gleiter stellen wir in der Regel sicher, dass auch die Auswir­kungen einer Entscheidung und das ganze “Drumherum” bereits im Vorfeld durch­ge­dacht und erarbeitet werden, um Klarheit zu haben, was welcher Entscheid konkret bedeutet, mit allen Konsequenzen.

Erwarte das Unerwartete

Und gleichwohl kann es — trotz strate­gi­scher und sorgfäl­tiger Planung — zu Überra­schungen kommen. Wir erleben das immer wieder. Bei uns lautet einer der Grund­sätze deshalb auch: “Erwarte das Unerwartete”.

Beispiel 1: Eine famili­en­in­terne Nachfolge ist von A‑Z durch­dis­ku­tiert und alle Vertrags­ent­würfe liegen vor, das Preis‑, Wert- und Finan­zie­rungs­modell steht und man könnte eigentlich nur noch unter­schreiben. In der Schluss­be­spre­chung, nach einem 2‑jährigen Prozess, sagt eines der Kinder: “Ich habe mich verliebt und werde die Schweiz verlassen. Ich habe deshalb für mich entschieden, dass ich keine Aktien übernehmen und in Spanien eine eigene Existenz aufbauen möchte.”

Beispiel 2: Die firmen­in­terne Nachfolge an zwei Mitar­bei­tende ist aufge­gleist und alle Eckdaten sind geklärt – auch rund um Wert, Preis und Finan­zierung mit der Bank. Es ist alles bereit, dass der Handwerks­be­trieb inkl. betriebs­not­wen­diger Immobilie an die Mitar­bei­tenden, welche die Nachfolge antreten, verkauft werden kann. Unmit­telbar vor der Vertrags­un­ter­zeichnung kommt dann aber ein Anruf. Am Telefon ist ein Vertreter des eben verstor­benen Inhabers des Nachbar­grund­stücks. Dieses Grund­stück ist unverbaut und langfristig könnte dieses Land die einzige und ideale Expan­si­ons­mög­lichkeit sein für das in der Nachfolge bestehende Unter­nehmen. Die Nachfolger erkennen die grosse Chance, können sich das Grund­stück zum jetzigen Zeitpunkt aber finan­ziell nicht leisten. Der überge­bende Verkäufer weiss ebenfalls, wie wichtig das Grund­stück für die Zukunft “seiner” Firma ist. Das Ereignis hat die Ausgangslage unerwartet verändert — die Parteien haben in diesem Fall gemeinsam eine Lösung zugunsten der Firma erarbeitet und der Firmen­verkauf konnte dennoch — fast wie geplant — stattfinden. 

Beispiel 3: Mit Covid-19 hat damals niemand gerechnet. Und schon gar nicht damit, dass so plötzlich ein grosser Teil unserer Volks­wirt­schaft still­gelegt wird. Eine Zahnarzt­praxis, die 2020 unmit­telbar vor dem Verkauf stand, musste als Folge der Bestim­mungen schliessen. Dieses exogene Ereignis war nicht vorher­sehbar. Es hat zwar nicht zum Abbruch der Nachfolge geführt, aber zu einem Aufschub von zwei Jahren. Die Pläne von zwei Genera­tionen wurden damit durchkreuzt.

Fazit

Diese Beispiele zeigen: in Szenarien zu denken und zu handeln, lohnt sich. Ziel dieser Szenarien ist es, Verbind­lichkeit sicher­zu­stellen und gleich­zeitig begründet (!) Flexi­bi­lität an den Tag zu legen in Situa­tionen, die sich plötzlich anders entwickeln, als gedacht oder erwartet. Wenn das angestrebte Fernziel tragfähig und klar ist, können Unsicher­heiten und Irrita­tionen — kurzfristig — abgefedert werden.

Jede Unter­neh­merin und jeder Unter­nehmer sollte sich bewusst sein: Nachfolge braucht viel Zeit. In aller Regel sogar mehr Zeit, als zu Beginn angenommen. Wer konse­quent in Szenarien denkt und handelt, ist vorbe­reitet und kann in kürzerer Frist besser entscheiden. Nachfolge ist ein unter­neh­me­ri­scher Akt und es lohnt sich, diesen Schritt bewusst zu gestalten und frühzeitig anzugehen.

Mehr zum Thema

Auf unserer Plattform finden Sie weiter­füh­rende Unter­lagen rund um die verschie­denen Nachfol­ge­op­tionen und weshalb es so relevant ist, in Szenarien zu denken und zu handeln:

Im Download-Center stellen wir Ihnen diverse Unter­lagen und Arbeits­blätter kostenlos zur Verfügung.

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Abbil­dungen: St. Galler Nachfolge

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Frank Halter

Frank Halter ist ausgewiesener Nachfolgeexperte, der sich seit vielen Jahren mit Passion für Nachfolgelösungen einsetzt, die Bestand haben und für alle ein Gewinn sein sollen: für das KMU, für die übergebende und die übernehmende Generation. Er hat das St. Galler Nachfolge-Modell mitentwickelt und betreibt die «St. Galler Nachfolge-Praxis», eine unabhängige Plattform für Wissen und Erfahrung rund um das Thema Unternehmensnachfolge.

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